Beitrag von Jürgen Klute

„Makroökonomische Konditionalitäten“ ist ein Wortmonster. Und dazu noch schwer verständlich. Wer nicht unmittelbar mit der Materie befasst ist, kann sich selbst anhand eines Fremdwörter-Dudens nicht aus dem Begriff ableiten, um was es sich bei den makroökonomischen Konditionalitäten handelt. Der Begriff verschleiert mehr als er etwas auf den Punkt bringt.

„Makroökonomischen Konditionalitäten“ ist die verschwurbelte Bezeichnung für die von Deutschland und einigen anderen nordeuropäischen Ländern während des Höhepunktes der EU-Krise durchgesetzten Schuldenbremse auf EU-Ebene. Wenn Haushalte von EU-Mitgliedsstaaten diese Verschludungrenzen überschreiten, dann müssen sie Korrekturen sowohl ihrer Wirtschaft- und Arbeitsmarktpolitik als auch ihrer Haushaltspolitik vornehmen, die zu einer Verringerung der Verschuldung führen sollen. Die Korrekturen werden von der EU-Kommission vorgeschlagen. Abgestimmt wird darüber allerdings im EU-Rat. Die Nichtbefolgung der Empfehlung kann mit einer Geldstrafe in Höhe von bis zu 0,5 % des BIP belegt werden.

Die Regierungen der EU-Mitgliedsstaaten, die den EU-Rat bilden, wollen seit längerem auch die Vergabe von Fördermittel aus dem Kohäsionsfonds an die Einhaltung der Verschuldungsgrenzen binden.

Das Europäische Parlament [*] hat bereits im Dezember 2012 ein kritisches Themenpapier zu dieser Frage vorgelegt: „Makroökonomische Konditionalitäten in der Kohäsionspolitik“. Der EU-Rat ignoriert die formulierten Einwände bis heute. In der Kurzfassung des Themenpapiers der EU-Kommission heißt es:

„Dieses Themenpapier befasst sich mit dem Vorschlag der Europäischen Kommission zur Einführung umfassender makroökonomischer Konditionalitäten in der Kohäsionspolitik. Im Wesentlichen würde dies dazu führen, dass die Finanzmittel der Kohäsionspolitik von der Einhaltung der Vorschriften im Bereich der wirtschaftspolitischen Steuerung abhängig wären. In dem vorliegenden Themenpapier wird festgestellt, dass solche Konditionalitäten zwar für die wirtschaftspolitische Steuerung von Vorteil wären, dass sie sich jedoch wahrscheinlich negativ auf die Kohäsionspolitik auswirken würden. Noch wichtiger ist, dass es zweifelhaft ist, ob der Vorschlag der Kommission zur Erreichung des übergreifenden Ziels beider Politikbereiche beitragen würde: einem ausgewogenen Wirtschaftswachstum in Europa.“

Mit anderen Worten: Ein EU-Mitgliedsland, das sich in einer wirtschaftlichen Krise befindet und die Schuldengrenze überschreitet, würde durch die Koppelung der Zahlung von Mitteln aus den Kohäsionsfonds an die Einhaltung der Schuldengrenze durch die Kürzungen der EU-Fördermittel zusätzlich unter wirtschaftlichen Druck geraten, die Krise würde sich also eher weiter verschärfen statt dass es zu einer Verbesserung der wirtschaftlichen Lage käme. Das zentrale Element der EU – die Kohäsionspolitik, die den wirtschaftlichen, sozialen und territorialen Zusammenhang der Union sichern soll – wir potentiell von einem Entwicklungsinstrument in ein Bestrafungsinstrument verkehrt.

Dieser prozyklische Politikansatz des EU-Rates wurde bereits während der Verhandlungen des Gesetzgebungspaketes zur EU-Wirtschaftssteuerung massiv vonseiten des Europäischen kritisiert und im Verhandlungsprozess auch modifiziert. Der EU-Rat – also die Regierungen der EU-Mitgliedsländern – halten aber mehrheitlich an dieser Politik fest, obgleich derzeit Portugal zeigt, dass gerade die Abkehr von dieser Art Politik zu mehr Wachstum geführt hat und das Land nun die Krise langsam hinter sich lässt.

Das Europäische Parlament sieht daher die „Makroökonomischen Konditionalitäten“ nach wie vor kritisch. In der letzten Plenarwoche des Europäischen Parlaments stand dieses Thema erneut auf der Tagesordnung. Konkret ging es um den „Vorschlag für eine VERORDNUNG DES EUROPÄISCHEN PARLAMENTS UND DES RATES mit gemeinsamen Bestimmungen für den Europäischen Fonds für regionale Entwicklung, den Europäischen Sozialfonds Plus, den Kohäsionsfonds und den Europäischen Meeres- und Fischereifonds sowie mit Haushaltsvorschriften für diese Fonds und für den Asyl- und Migrationsfonds, den Fonds für die innere Sicherheit und das Instrument für Grenzmanagement und Visa“. In dieser Verordnung werden Rahmbedingungen festgelegt für den nächsten mittelfristigen Finanzrahmenplan (MFR) der EU von 2020 bis 2027. Die Co-Berichterstatter*innen in diesem Gesetzgebungsverfahren sind Andrey Novakov (EPP) und Constanze Krehl (S&D).

Am 13. Februar stand die Abstimmung über den veränderten Verordnungsvorschlag des zuständigen Regionalausschusses (REGIO) im Plenum auf der Tagesordnung. Auf Antrag der GUE/NGL, der S&D, der EFDD und der ENF wurde der entsprechende Artikel 15 des Verordnungsvorschlages gänzlich gestrichen. Das ist insofern ein bemerkenswertes Abstimmungsergebnis, da die beiden Co-Berichterstatter von EVP und S&D dem Parlament nur einige entschärfende Änderungen an dem besagten Artikel vorgeschlagen hatten, die „Makroökonomischen Konditionalitäten“ im Grundsatz aber beibehalten wollten (die Vorschläge der Berichterstatter*innen sind hier einsehbar).

Dieses Abstimmungsergebnis stellt aber nur einen vorläufigen Erfolg des Europäischen Parlaments dar. Denn es ist noch nicht der abschließende Kompromiss zwischen Rat und Parlament, über den abgestimmt wurde. Das Parlament hat hier seine Position beschlossen, mit der die Berichterstatter und Schattenberichterstatter nun in die Verhandlungen mit dem EU-Rat und der EU-Kommission – den so genannten Trilog – gehen. Aus dem Berichtstext des EP, der auf der Webseite des EP einsehbar ist, wurde Artikel 15 gemäßt der Abstimmung vom 13. Februarbereits gestrichen.

Es hängt nun vom Verhandlungsgeschick der beiden Co-Berichterstatter, ob sie diese Position gegenüber dem Rat verteidigen können. Im Trilog müssen sich Rat und Parlament auf eine gemeinsame Position einigen. Der neue MFR beginnt am 1. Januar 2021. Bis dahin müssen sich beide Kammern einigen.

In seinem Verhandlungsmandat für die Verhandlungsführer (sie werden von dem Land gestellt, das jeweils die rotierende Ratspräsidentschaft inne hat) hat der Rat sich nicht zu Artikel 15 geäußert (die Unterlagen sind hier einsehbar). Gleichwohl ist davon auszugehen, dass der Rat – wie schon bei den Verhandlungen zum letzten MFR 2013 – auf den „Makroökonomischen Konditionalitäten“ bestehen wird.

Im Mai 2019 sind allerdings Europawahlen. Dadurch erhöht sich der Druck auf die Verhandlungsführenden des Parlaments. Wenn es vor der Wahl keine Einigung gibt, wird es schwer, nach der Wahl mit dem neu zusammengesetzten Parlament, noch rechtzeitig eine Einigung zu erarbeiten. Denn nach der Wahl stehen erst einmal die Neukonstituierung des EP und seiner Ausschüsse an sowie die Wahl des neuen Kommissionspräsidenten und die Anhörung der neuen EU-Kommissare. Offen ist derzeit auch, wie weit sich das Kräfteverhältnis innerhalb des EP verschieben wird.

Unter diesen Bedingungen kann der EU-Rat leicht auf Zeit spielen und die Verhandlungsführenden des Parlaments unter Druck setzten und zu einer Wiederaufnahme des gestrichenen Artikel 15 drängen. Das EP könnte dem dann ebenfalls letztlich doch zustimmen, da die Abgeordneten sich sonst in ihren Herkunftsländern im Wahlkampf vorhalten lassen müssten, eine Einigung über den MFR zu blockieren zum Nachteil der Mitgliedsländer.

Der EU-Haushalt fließt immerhin zu knapp 90 % in Form der unterschiedlichen Förder-Fonds zurück in die Mitgliedsländer und ist so das zentrale – wenn auch viel zu gering ausgestattete – Umverteilungsinstrument innerhalb der EU, das den wirtschaftlichen, sozialen und territorialen Zusammenhalt der EU sichern soll.

[*] In einer früheren Version hieß es, das Themenpapier sei von der EU-Kommission. Richtig ist, dass es sich um ein Themenpapier des Europäischen Parlaments handelt.

Titelbild: Frank Senftleben CC BY-ND 2.0

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