Auf Einladung der Linksfraktion im Europäischen Parlament (GUE/NGL) trafen sich Seenotrettungs-Organisationen zu einem Vernetzungstreffen in Brüssel
Schon mehr als eine Legislaturperiode, die im Europäischen Parlament fünf Jahr umfasst, schiebt der EU-Rat eine Klärung der Frage, wie eine den Menschenrechten entsprechende Asyl- und Migrationspolitik auszusehen hat, vor sich her. Während dieser Zeit sind Tausende von Menschen auf der Flucht über das Mittelmeer ertrunken.
Die neue EU-Kommissionschefin Ursula von der Leyen hat die entsprechende Kommissionsabteilung in einer so fragwürdigen Weise zugeschnitten, dass bei kritischen Abgeordneten der Eindruck entstand, dass nun selbst die letzten verbliebenen Lücken in der Festungsmauer um die EU herum geschlossen werden sollen und eine menschenrechtsgerechte Asyl- und Migrationspolitik nun vollends einer Abschottungspolitik gewichen ist. (Mehr dazu in dem Beitrag von Eric Bonse „Mann für `europäischen Lebensstil‘“ vom 12.09.2019 in der taz.)
Immerhin hat die Linksfraktion im Europäischen Parlament, die GUE/NGL, ein klares Zeichen gegen diese Entwicklung gesetzt. Sie lud in dieser Woche zum dritten Mal Vertreter und Vertreterinnen der Seenotrettungs-Organisationen für ein Vernetzungstreffen nach Brüssel ein. Zusätzlich zu den Ressourcen für deren interne Beratungen und Verzahnungen, wurde ihnen der Raum für eine öffentliche Veranstaltung in den Räumen des Europaparlaments bereitgestellt. Cornelia Ernst, migrationspolitische Sprecherin der Delegation DIE LINKE. und Mitorganisatorin des Treffens, erläutert diese Initiative und die Anliegen der Aktivisten und Aktivistinnen gegenüber Europa.blog wie folgt:
“Seit Jahren verschließen die Verantwortlichen in den Hauptstädte der EU-Mitgliedstaaten die Augen und Ohren für das Leid, das sich auf dem Mittelmeer ereignet. Anstatt die eigenen Rettungskapazitäten auszubauen oder wenigstens aufrechtzuerhalten, wurden die Mittel für staatliche Rettungen immer weiter zusammengestrichen, sodass von EU-Seite aktuell nur mehr technisch beobachtet wird, was sich furchtbares an den EU-Außengrenzen ereignet. Zu allem Überfluss wurde 2016 stattdessen ein Pakt zur Migrationsabwehr mit dem Despoten Erdoğan eingegangen.
Um diesem moralischen Abgrund der regierenden Politik ein Mindestmaß an Menschlichkeit entgegenzusetzen, gründeten sich zahlreiche Seenotrettungsorganisationen, die in einem Akt aus humanitärer Notwehr selbstlos und auch nicht ohne persönliches Risiko, seither tausenden Menschen das Leben retteten. Diesen Freiwilligen gebührt nicht nur Dank und Ehre, sondern vor allem auch Gehör an dem Ort, an dem das Schweigen am lautesten ist, in Brüssel wo vor allem Rat und Kommission ihre Hände in Unschuld waschen.
Seenotrettung war nie, ist kein und wird niemals ein Verbrechen sein. Aus diesem Grund werden wir weiterhin alles tun, was uns als linken Abgeordneten möglich ist, um die Arbeit dieser Heldinnen und Helden zu unterstützen.”
Hintergrundinformationen
Bereits am 23. Oktober 2013 – gerade einmal drei Wochen nach dem Untergang eines Flüchtlingsbootes vor Lampedusa, bei dem 360 Menschen ertranken und wenige Tage vor dem EU-Ratsgipfel vom 26. Oktober 2013, bei dem das Thema Flucht und Asyl auf der Tagesordnung stand – hatte das Europäische Parlament unter dem Titel “Flüchtlingswellen im Mittelmeerraum, insbesondere die tragischen Ereignisse vor Lampedusa” mit großer Mehrheit eine humane Flüchtlingspolitik eingefordert.
In jener Resolution vom Oktober 2013 formulierte das Europäische Parlament klare Forderungen an den Rat in Bezug auf eine Reform der EU-Flüchtlingspolitik. Die Rettung schiffbrüchiger Flüchtlinge sollte zu einer Kernaufgabe der Grenzüberwachung gemacht werden. In die Neuverordnung für gemeinsame Frontex-Einsätze auf See sollten verbindliche Regeln zur Seenotrettung aufgenommen werden. Alle europäischen und nationalen Gesetze, die die Rettung von Flüchtlingen in Seenot unter Strafe stellen, sollten reformiert werden. Weiterhin wurden Verfahren für eine gerechte und proportionale Verteilung von Flüchtlingen auf alle EU-Mitgliedsstaaten eingefordert, um die südeuropäischen Staaten zu entlasten (seinerzeit nahmen nicht einmal die Hälfte der 28 EU-Staaten Flüchtlinge auf). Auch sollten Flüchtlinge nicht mehr in Aufnahmeländer zurück geschickt werden dürfen, wenn deren Asylsystem überlastet ist, was 2013 auf Griechenland, Malta und Italien zutraf.
Darüber hinaus forderte das Europäische Parlament einen fairen Zugang zum europäischen Asylsystem und die Entwicklung legaler Zugangsmöglichkeiten im Rahmen der Migration von Arbeitskräften.
Am 2. Oktober 2014, einen Tag vor dem 1. Jahrestag der Flüchtlingstragödie vor Lampedusa, veröffentlichte die damalige EU-Innen-Kommissarin Cecilia Malmström eine Stellungnahme, in der sie erklärte: “Die Bilder von Lampdusa sind noch immer in meinem Kopf. Sie sind eine schreckliche Erinnerung daran, dass wir danach streben müssen, dass Europa offen bleibt für jene, die Schutz suchen”. […] “Ich will sehr klar sein – wenn es um die Aufnahme von Flüchtlingen geht, ist die Solidarität zwischen den EU-Mitgliedstaaten noch weitgehend inexistent. Das ist wahrscheinlich die größte Herausforderung für die Zukunft.” Daran hat sich nichts geändert.
Titelfoto: Brainbitch CC BY-NC 2.0
An dem Vernetzungstreffen nahmen folgende Organisationen und Aktivist*innen teil
Prof. Violeta Moreno-Lax, Queen Mary University of London
Salvatore Tesoriero, Anwalt, Italien
Chiara Denaro, Alarm Phone
Kashef, Alarm Phone
Antonia Debus, Jugend Rettet
Markus Stottut, Jugend Rettet
Mechthild Stier, Mission Lifeline
Lucia Gennari, Mediterranea
Giuseppe Caccia, Mediterranea
Oscar Camps, Open Arms
Georgia Linardi, Sea-Watch
Cornelia Schmidt, Sea-Watch
Doreen Johann, Sea-Watch
Maria Junker, Sea-Watch
Alina Lyapina, Seebrücke
Eva Maria Welling, Seebrücke
David Starke, SOS Méditerranée
Links zum Artikel
Evangelische Kirche kauft Schiff für Seenotrettung im Mittelmeer. Die Evangelische Kirche Deutschland verstärkt ihr Engagement in der Seenotrettung: Der Rat der EKD beschloss den Kauf eines Schiffs, das Flüchtlinge im Mittelmeer retten soll, wie der Vorsitzende Heinrich Bedford-Strohm am Donnerstag, 12. September, in Berlin sagte. Gemeinsam mit Vertretern von Rettungs- und Hilfsorganisationen, Kommunen und der Seebrücke-Bewegung forderte er dringend einen europaweiten Verteilmechanismus für im Mittelmeer gerettete Menschen. | Euractiv, 13.09.2019
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