Beitrag von Peter Bürger

Peter Bürger, geb. 1961, ist katholischer Theologe, examinierter Krankenpfleger und arbeitet als freier Publizist in Düsseldorf. Thematische Schwerpunkte: südwestfälische Regional- und Kulturgeschichte; Mundartforschung; Krieg und Massenkultur; Kritik der Religion von „Mammon – Macht – Krieg“. Seine Studie „Kino der Angst – Terror, Krieg und Staatskunst aus Hollywood“ wurde 2006 mit dem Bertha-von-Suttner-Preis (Kunst & Medien) ausgezeichnet. (www.friedensbilder.de ; www.sauerlandmundart.de)


Buchempfehlung
Wolfram Wette: Ernstfall Frieden. Lehren aus der deutschen Geschichte 
seit 1914. Bremen: Donat Verlag 2016 [2017]. 
640 Seiten; 504 Abbildungen; ISBN 978-3-943425-31-4

 

Das soeben erschienene Werk „Ernstfall Frieden“ von Wolfram Wette betrachte ich als herausragendes pazifistisches Buchereignis zur Jahreswende 2016/2017. Die Zeit drängt. Aktion tut Not. Lesen hilft, Energien freizusetzen und Sackgassen zu meiden. Meine im Folgenden ausgeführte Buchempfehlung enthält viele Elemente einer Rezension. Gleichwohl möchte ich sie nicht als Rezension bezeichnen. – Jahrzehntelange Mühen um eine „Geschichtsschreibung im Dienst des Friedens“ (Dieter Riesenberger) und zahlreiche pazifistische Einsprüche aus den letzten Jahren sind eingeflossen in diese Neuerscheinung. Meine Seitenvermerke zum Buch nebst kurzen Stichworten füllen fünf große Blätter. Eine Rezension ohne Etikettenschwindel und mit Behandlung auch der kontroversen pazifistischen Standpunkte wäre ohne den doppelten Seitenumfang nicht zu bewerkstelligen.

Hinter der Buchempfehlung steht mein ganz persönliches Lektüre-Fazit: Der Autor führt seine Leser durch Abgründe der deutschen Geschichte – jedoch ohne Fatalismus. Am Ende bin ich nicht niedergedrückt, sondern ermutigt und orientiert zur Mitarbeit am Projekt „Ernstfall Frieden“.

Wer von den beiden Weltkriegen spricht,
kann vom preußischen Militarismus nicht schweigen

Das Buch ist keine Kriegs-Geschichtsschreibung, sondern ein Friedensdiskurs entlang der geschichtlichen Kriegs- und Friedensdiskurse. Mit dem Inhaltsverzeichnis und dem Untertitel „Lehren aus der deutschen Geschichte seit 1914“ wird der Zeitraum eines Jahrhunderts abgesteckt. Hundert Jahre bis zur Gegenwart, das ist – von verschiedener Warte aus betrachtet – zu wenig oder auch zu viel. Die beiden von Deutschland zu verantwortenden Weltkriege waren keine unerklärlichen „Jungfrau-Geburten“, sondern Erzeugungen einer ganz und gar männlichen sowie ganz und gar deutschen Gewalt-„Religion“. Heinrich Heine sah – eingedenk der Totalitäten im deutschen Denkerkosmos – schon 1834 etwas nie Dagewesenes auf die Menschheit zukommen: „Der deutsche Donner ist freilich auch ein Deutscher und ist nicht sehr gelenkig und kommt etwas langsam herangerollt; aber kommen wird er, und wenn Ihr es einst krachen hört, wie es noch niemals in der Weltgeschichte gekracht hat, so wißt, der deutsche Donner hat endlich sein Ziel erreicht.“

Der durch Kriege gezeugte erste deutsche Nationalstaat markiert nicht das Ende, sondern die Inflation von „Preußens Gloria“. Die auch im kleinsten Dorf agierenden Schulmeister und Kriegervereine missionierten das Kaiserreich mitnichten unter den Vorzeichen von Humboldtschem Bildungshumanismus und Kants „Ewigem Frieden“. Wer von der neueren deutschen Geschichte sprechen will, darf vom preußischen Militarismus und von der mit diesem einhergehenden Menschenverachtung nicht schweigen. Erschreckend sind die Warnrufe (und einzelne Ansätze zu Selbsterkenntnis) im letzten Viertel des 19. Jahrhunderts. Um 1900 kann die Militarisierung der deutschen Landschaften als weitgehend abgeschlossen gelten. Freilich muss mit Blick auf das Kommende zwingend von Kapitalismus und Imperialismus die Rede sein. Doch dies meinen auf „globalgalaktische Weise“ auch solche Autoren, die mitnichten antikapitalistisch und antiimperialistisch eingestellt sind. Ihnen geht es darum, die von Preußen ausgehende – durchaus spezifisch „deutsche“ – Heilslehre des Kriegerischen unter den Tisch fallen zu lassen. Mit Wolfram Wette, der ein prominenter Vertreter der kritischen Militarismus-Forschung ist, sollte man hingegen weit zurückgehen, um besser zu verstehen, was dem deutschen Kriegsdonnern in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts lange im Voraus den Weg bereitet hat. Diese Notwendigkeit wird im neuen Werk auch verdeutlicht.

Mit diesem Buch kann das Gedenkjahr 2018 vorbereitet werden

Nun behandelt Wolfram Wette jedoch das Jahrhundert ab 1914 keineswegs in gleichgewichtigen Kapiteln. Auf weiter Strecke sind der Erste Weltkrieg und seine Folgen die maßgeblichen Bezugspunkte der Darstellung. Die deutschen Militärs hofften 1914 auf einen schnellen Sieg, nahmen zugleich aber in Kauf, dass ihr Kriegsvotum Europa in ein Schlachthaus verwandeln könnte. Hat am Ende im Gedenkjahr 2014 doch die Geschichtsverdrehung der revisionistischen Bestseller obsiegt, womit dann auch die Anschauung durchgesetzt wäre, es gäbe gar keine besonderen „Lehren aus der deutschen Geschichte seit 1914“? Man nehme sich nur den Wikipedia-Eintrag zu Herfried Münklers Werk „Der Große Krieg“ (2013) vor. Das Beste an diesem „arglosen“ Artikel ist die in den Fußnoten untergebrachte Verlinkung zu einer Rezension von Rudolf Walter.  Ansonsten geht es in diesem Wiki-Eintrag so schlafwandlerisch zu wie in Münklers Werk. Die hohen Auflagen der beiden Bücher von Christopher Clark, dem Preußen-Liebhaber, und von H. Münkler, dem Ratgeber der Regierenden, können uns nicht gleichgültig sein: „Wer die Vergangenheit kontrolliert, kontrolliert die Zukunft. Wer die Gegenwart kontrolliert, kontrolliert die Vergangenheit.“ (George Orwell: Nineteen Eighty-Four, 1949)

Es bestehen durchaus Aussichten, dass angesichts dessen, was der Papst einen „Weltkrieg auf Raten“ nennt, die Einflüsterungen der Revisionisten schon bald nicht mehr auf so viele leichtgläubige Ohren stoßen werden. In den nächsten zwölf Monaten wird das Weltkriegs-Gedenkjahr 2018 vorbereitet. Wolfram Wettes Buch „Ernstfall Frieden“ steht hierbei zu Diensten. Es zeigt: Ein anderes Geschichtsgedächtnis ist möglich!

Gemeinhin wird diagnostiziert, die Weimarer Republik sei so etwas wie eine Demokratie ohne Demokraten und deshalb ohne Bestand gewesen. Das ist vielleicht weniger als die halbe Wahrheit. Ein schlimmes Erbe der Republik blieb der Militarismus, wie in Abteilung II von „Ernstfall Frieden“ aufgezeigt wird. Es gab keinen Bruch mit dem Schwertglauben und weithin auch keinen Abschied von den alten kriegerischen „Eliten“. Die Soldaten durften nach Ausrufung der Republik das Mordhandwerk im Inneren weiter ausüben – und das gar unter Weisungen eines „National-Sozialdemokraten“ wie Gustav Noske. Die preußische Parole hatte schon 1848 gelautet: „Gegen Demokraten helfen nur Soldaten.“ Die militaristische Rechte der Weimarer Zeit setzte dem etwas hinzu, was man so zusammenreimen könnte: „Gegen Pazifisten helfen nur Haubitzen.“ Die Pazifisten der Weimarer Zeit wurden an den Rand gedrückt, diskriminiert, bedroht und sogar ermordet. Einige von ihnen – so etwa Carl Mertens und Friedrich Wilhelm Foerster – waren mutige „Whistleblower“ und enthüllten, wie im Geheimen ein neues deutsches Kriegswesen entstand. Heute beschleicht uns ein Grauen, wenn wir die frühen Warnungen vor den Folgen von Antisemitismus und Militarismus einer Relecture unterziehen. Eine solche Relecture war freilich nach Ende des zweiten Weltkriegs noch nicht erwünscht. Wer allein nur die Quellen zur Geschichte des Pazifismus in der Weimarer Republik zur Kenntnis nimmt, ist schon davor gefeit, den deutschen Faschismus irgendwie als Ergebnis einer plötzlichen Volksverführung im Jahr 1933 zu deuten.

Mit Blick auf die Entwicklung nach 1945 und Gegenwartsphänomene sollten nicht leichtfertige Vergleiche mit der Weimarer Republik angestellt werden, zumal dann nicht, wenn Hin¬weise auf entscheidende Unterschiede fehlen. Wolfram Wette legt großes Gewicht auf die Unterschiede (siehe unten). Er wirft jedoch die Frage auf, ob in der Berliner Republik die zentrale Lehre „Nie wieder Krieg!“ ihre Verbindlichkeit verliert. Die diesbezügliche Sorge ist mehr als berechtigt. Der letzte Text der Neuerscheinung trägt die Überschrift: „Die richtigen Lehren aus 1914: Deeskalation und nicht-militärische Konfliktbearbeitung.“

Ein zweites und drittes „Buch im Buch“

Die 26 Kapitel des Buches „Ernstfall Frieden“ basieren überwiegend auf Arbeiten, die verstreut schon in anderen Zusammenhängen veröffentlicht worden sind. Durch kluge Redaktion, Umarbeitung und Kürzungen ist jedoch ein neues Werk mit planmäßigem Gesamtaufbau – und wenigen Wiederholungen – entstanden. Ich empfehle unbedingt eine chronologische Lektüre des Bandes. Die Anmerkungen konzentrieren sich auf solide Quellennachweise. Sie werden im Anhang dargeboten. Für diese Lösung gibt es einen guten Grund, denn zwei weitere „Ebenen“ ergänzen im gesamten Buch fortlaufend die Darstellung von Wolfram Wette.

Dies betrifft zunächst die vielen historischen Quellentexte, die in Kastenform eingebaut sind und den Lesern die Möglichkeit bieten, das jeweilige Thema über einen genauen „Wortlaut“ zu vertiefen. In der Auswahl überwiegen deutlich die „pazifistischen Lehren aus der Geschichte“. Der Bellizismus ist nicht allmächtig. Ein Einspruch ist möglich. Menschen, denen es gegeben war, ihre Großhirnrinde zu nutzen, haben die Abgründe von zwei Weltkriegen lange vorausgesehen. Die Menschenschlächtereien waren eben nicht das Ergebnis von Schlittschuh-Unfällen und sonstigen Zufällen. Die Jahreszahlen unter den Zitaten, in denen das Verbrechen weit im Voraus angekündigt oder befürchtet wird, bewirken nicht selten Erstaunen und Entsetzen. Die Quellentexte sind ein äußerst anregender Bestandteil des Bandes.

Außerdem gibt es im Buch über 500 Abbildungen. Auch hier, im Illustrationskonzept, wird der pazifistischen Linie ein klarer Vorrang eingeräumt. Zu sehen sind z.B. die Titelblätter bedeutsamer Friedensklassiker: >Seht her, es gab diese weitsichtigen Werke wirklich, und wer die Kulturtechnik des Lesens beherrscht, für den stehen Digitalisate und wohlfeile Neueditionen bereit!< Zudem werden Menschen gezeigt, Kriegsverbrecher und – weitaus mehr – Friedensarbeiter. Ein Gesicht zu zeigen, das vermittelt im Bild: Wir wollen nicht von Natur-katastrophen sprechen, sondern von Menschen, die – so oder so – Verantwortung übernehmen für die Wege der Menschenwelt. Mitunter ist bei der Illustration eine gute List am Werke: Schon auf Seite 8 schaut uns ein sympathischer Gustav W. Heinemann an, was wir wohl als programmatische Ansage werten dürfen. Wolfram Wette hilft mit seinen Ausführungen selbst orthodoxen Linken, den bösen Revisionisten Eduard Bernstein (1850-1932) mit wohlwollenden Augen zu betrachten. Das zugehörige Porträtfoto zeigt ein Gesicht, das man spontan liebhaben kann.

Freilich sind in der Kriegslinie und der Friedenslinie gleichermaßen die Männer überrepräsentiert (vgl. auch das Personenregister). Der subversive Pazifismus von Frauen ist in zurückliegenden Zeiten – trotz Bertha von Suttner – zumeist nicht oder nur wenig öffentlichkeitswirksam in Erscheinung getreten. Die entsprechenden Herausforderungen für Geschichtsschreibung und Zukunft des Pazifismus können an dieser Stelle nicht diskutiert werden.

Ein bedeutsamer Teil der Buchillustrationen besteht aus antimilitaristischen (sowie antifaschistischen) und pazifistischen Graphiken. Kenner werden schnell merken, dass hier ausgewählte Schätze und nicht etwa leicht zugängliches „gemeinfreies Digitalgut“ aus dem Internet zusammengetragen worden ist. Die Bildbotschaften zeigen die Kunst als unverzichtbare Säule der pazifistischen Geschichtslinie. Viele der mit Pinsel, Kohlestift oder Kamera bewerkstelligten Empörungen gegen den blutigen Wahnsinn sind mehr als nur zeitgebundene Dokumente wider den Krieg und könnten im 125. Jubiläumsjahr der 1892 gegründeten „Deutschen Friedensgesellschaft“ gute Dienste leisten. Es lohnt sich, den Fundus der Antikriegs-Bilder aufzusuchen. Utopisch – ortlos – bleibt allerdings bis zur Stunde jene Herausforderung an eine pazifistische Kunst, die Wim Wenders und Peter Handke im Drehbuch zum Filmklassiker „Der Himmel über Berlin“ (BRD/Frankreich 1986/87) so bedacht haben: „Noch niemandem ist es gelungen, ein Epos des Friedens anzustimmen. Was ist denn am Frieden, dass er nicht auf die Dauer begeistert und dass sich von ihm kaum erzählen lässt?“

Die Quellentexte und Illustrationen im Buch „Ernstfall Frieden“ hat der Historiker und Verleger Helmut Donat zusammengestellt, wofür ihm der Autor Wolfram Wette eine freundschaftliche Danksagung (S. 629) ausspricht.

Ein Nachtrag zur Aufgabenstellung:
„… die bürgerliche Gesellschaft vor sich selbst zu retten“

In den USA, so meint Jakob Augstein in einer aktuellen Kolumne, stehe die Machtübernahme von Milliardären und Militärs bevor (Spiegel-Online, 15.12.2016). Es gelte, „die bürgerliche Gesellschaft vor sich selbst zu retten“. Die Radikalisierung des „Bürgertums“ vollzieht sich jedoch mitnichten nur jenseits des Atlantiks im Sauseschritt. Der AfD-Politiker Alexander Gauland hat schon 2012 – damals noch als CDU-Mitglied – eine Rückkehr zur preußischen Militärdoktrin eingefordert und plädiert für eine Klärung der großen Zeitfragen „mit Eisen und Blut“.  In den als maßgeblich geltenden Medienredaktionen scheint kaum jemand befähigt und willens zu sein, sachgerecht der Frage nachzugehen, wie die aktuelle deutsche Militärdoktrin denn überhaupt noch völkerrechts- und verfassungskonform aufgefasst werden kann. Auf internationaler Ebene stimmt die deutsche Regierung im Sinne der Atombombenbesitzer ab. Mit einem nunmehr offensiven Bekenntnis zu dem, was die Herrschenden schönfärberisch „nukleare Teilhabe“ nennen, soll es nicht genug sein. Der FAZ-Herausgeber Berthold Kohler hat am 27.11.2016 die deutsche Atombombe gefordert.

Mit Blick auf die weltkirchlichen Aufbrüche kann man nur staunen, wie hierzulande die Friedensfrage in den Großkirchen, der Christdemokratie oder den Überresten des „politischen Katholizismus“ bestenfalls als Randthema gewürdigt wird. Die Sozialdemokratie wäre – drängender denn je – gefordert, im Gefolge Gustav Heinemanns und Willy Brandts klarzustellen: Die einzige – schier alternativlose – Perspektive der Zivilisation heißt Frieden. Doch einstweilen vernimmt man hier nur lokale Stimmen wider die Militarisierung der Politik oder „Pensionäre“ wie Erhard Eppler und Ex-MdB Michael Müller (ehem. Staatssekretär; Naturfreunde). Der grüne Nonkonformist Christian Ströbele wird 2017 das Parlament verlassen. So etwas wie eine Nachfolge für diesen bedeutenden Demokraten ist nicht in Sicht.

Soll man dem Gefühl von Vergeblichkeit nachgeben und verstummen? Die Versuchung, sich auf Pathos, Sentimentalität und Klage zu verlegen, ist groß. (Dies schreibe ich nicht mit einem Zeigefinger, der auf andere zeigt!) Das Werk „Ernstfall Frieden“ von Wolfram Wette erschließt hingegen – jenseits leichtfertiger Tröstungen – eine Perspektive wider den Fatalismus. Die jungen Pazifistinnen und Pazifisten mögen es lesen: nicht zuletzt, um „kräftig genährt“ zu werden durch das klare Denken, den Mut und die Schönheit (!) der Frauen und Männer, die vor uns die Sache des Friedens betrieben haben. Die schon nicht mehr jungen Pazifisten in deutschen Landen werden dem Autor dankbar sein für die Möglichkeit zur Selbstvergewisserung. Denn die „alte Friedensbewegung“ bleibt der Aufklärung – als einem linken Unternehmen – und damit der lichten Seite des bürgerlichen Zeitalters verpflichtet. Die Lektüre von „Ernstfall Frieden“ befähigt uns, mit einem wachen Geschichtsgedächtnis den Scharlatanen des kriegsfreundlichen Revisionismus zu widerstehen.

Die „Berliner Republik“ steht nicht unter dem Leitbild eines friedensbewegten Verfassungspatriotismus. Es walten Tagespragmatismus und Orientierungslosigkeit. Namentlich auch im Militärministerium fehlt jede Einsicht in den Bankrott des neoimperialistischen Paradigmas. Eine Vision gibt es nicht, weshalb man die inhaltsleere PR-Geschwätzigkeit ohne Rücksicht auf Schmerzgrenzen überdehnt. Konservative mit christlichem Anspruch, Sozialdemokraten oder Liberale scheinen kaum noch etwas zu wissen von ihren Altvorderen, die im Kaisereich und in den 1920er Jahren als hellsichtige Friedensdenker in Erscheinung getreten sind. Umso mehr sei auch ihnen das Buch empfohlen.

Die Rahmenbedingungen für den pazifistischen Einspruch, so zeigt Wolfram Wette, sind heute jedoch grundlegend andere als während der Weimarer Jahre. Eine imponierende Bevölkerungsmehrheit versagt sich seit über drei Jahrzehnten den kriegerischen Heilslehren. Die Bemühungen, ab 1945 die Gesellschaft gegen den in der Adenauer-Ära noch äußerst regsamen Militarismus zu immunisieren, waren am Ende nicht vergeblich. Nun kommt es bei ausbleibenden Massenmobilisierungen darauf an, das eigene Denken nicht auf Twitter-Formate zu reduzieren und trotzdem im Dienste des Friedens eine Oberhoheit über die „Schlagzeilen“ zurückzugewinnen: Frieden, gewaltfreie Verfahren und Gerechtigkeit, eine andere Zukunft gibt es für die nahegerückte Menschenfamilie nicht! Zu den „Lehren aus der Geschichte“ gehört in diesem Zusammenhang der Sinn für eine Fragestellung, die nicht zuletzt auch ästhetischer Natur ist: Wer bringt im öffentlichen Raum die attraktiveren – wirkmächtigen – Bilder ins Spiel?

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