Von Frederik D. Tunnat

Der Abschied Groß-Britanniens stimmt mich zwar ein wenig wehmütig, jedoch nicht traurig. Ich finde es nur schade, dass die EU, bevor sie auch nur annähernd ihre volle Mitgliederzahl erreicht hat, bevor sie sich überhaupt zu einer ernsthaften Union europäischer Staaten unter einem gemeinsamen Dach, mit einer gemeinsamen Regierung, samt allem was dazu gehört, entwickelt hat, bereits ein überaus wichtiges Land wieder verloren hat.

Wohingegen das Gejammere und Gejaule der Wirtschaft und Verbände wegen nun erneut aufgestellter Schlagbäume, Passkontrollen, Zöllen sowie geringfügiger Einschränkungen gegenüber EU Zeiten anlässlich von Privat-Reisen, in meinen Augen kein übermäßiges Problem darstellt.

Denn anders, als viele heutige EU Bürger, die während ihrer Lebenszeit, speziell, wenn sie unter 50 Jahren alt sind, nie ein von der EU unabhängiges England erlebt haben, reichen meine Erfahrungen weit genug zurück. Die beiden Sommer der Jahre 1969 und 1970 verbrachte ich, anders als die Jahre zuvor, nicht auf Sylt, sondern größtenteils in England. Es waren so genannte Sommerstudien, die mich halbtags zwangen, eine der königlichen Sprachschulen zu besuchen, um mein Englisch auf Vordermann zu bringen, während die Nachmittage und Wochenenden mit wundervollen Exkursionen in die herrlichen Landschaften von Yorkshire und der Grafschaft Kent ausgefüllt waren. Auch wenn die damalige EWG nur sechs Mitglieder umfasste, so traf ich an beiden Sprachschulen auf Jugendliche aus nahezu sämtlichen europäischen Staaten, selbst solche von jenseits des Eisernen Vorhangs. Will sagen, Europa, europäisches Reisen, europäisches Sprachstudium, kultureller Austausch fand auch ohne EU und deren Rahmen statt – trotz der damals aufwändigeren Reisevorbereitungen, der physischen Grenzkontrollen etc. Außerdem unterschieden sich die Grenzen damals inner- wie außerhalb der EWG nur in Nuancen. Reiste man per Zug nach Belgien, fand an der Grenze ebenfalls eine Passkontrolle statt, wie bei der Einreise in die Schweiz oder nach Frankreich. Die französischen Grenzer agierten ein wenig geräuschloser, als die britischen, indem sie den Zug in Kehl bestiegen und auf der Fahrt über den Rhein nach Straßburg die Papiere kontrollierten, und nur vereinzelt Nachfragen stellten, während die britischen Grenzer damals mit jedem Einreisenden fremder Nation ein Interview führten. Das Gepäck wurde an den EWG Grenzen nur stichprobenartig kontrolliert, ebenso an der Schweizer Grenze, und selbst die britischen Grenzbeamten öffneten das Gepäck nur stichprobenartig. So what? Wo sind die gewaltigen Benefizien gegenüber dem heutigen Reisen a la Schengen? Mich nervt gegenwärtig vielmehr dass trotz angeblich grenzfreien, unkontrolliertem Reisen nahezu bei jeder Einreise nach Deutschland per PKW eine rassistisch motivierte Kontrolle stattfindet. Da die Mietwagen mit denen ich in Deutschland einreise litauische Kennzeichen tragen, scheinen die deutschen Grenzer (allesamt Ostler) davon auszugehen, dass es sich bei Einreisenden aus Litauen automatisch um verkappte Gangster handelt. Wenn ich sie dann auf dem nächsten Rastplatz, auf den sie mich mit Blaulicht und herausgehängter Kelle dirigieren, in bestem Hochdeutsch ob dieser selektiven Vorgehensweise zornig angehe, den Namen ihres Vorgesetzten erfrage, beenden sie in der Regel beschämt und mit hängenden Köpfen die nicht einmal ansatzweise begonnene Kontrolle, da sie auf meine Frage, weshalb sie aus einem Pulk von 50 bis 100 zeitgleich die Grenze an der Oder passierenden osteuropäischen PKWS und LKWs stets zielgerichtet ein Auto mit litauischem Kennzeichen herauswinken, keine vernünftige Antwort haben. Dieser latente, aus allerlei Vorurteilen gespeiste alltägliche Rassismus an den angeblich offenen Schengen-Grenzen nervt mich weit mehr, als die ehemaligen offiziellen, Jedermann betreffenden Grenzkontrollen.

Ich würde lügen, wollte ich behaupten, die damalige Immigration Prozedur, im Hafen von Dover, hätte mich ernsthaft gestört. Im Gegenteil, bei meinem ersten alleinigen Besuch Englands 1969, fand ich es überaus aufregend, die Fragen des Immigration Officers nicht nur korrekt zu verstehen, sondern ihm mit eigenen, englischen Worten Rede und Antwort zu stehen.

Auf der Bahnfahrt von London, durch Mittelengland, Richtung Yorkshire, ergab sich mit dem englischen Schaffner ein überaus interessantes Gespräch. Nachdem dieser anlässlich der Kontrolle unserer Fahrkarten anhand meiner Aussprache bemerkte, einen Deutschen vor sich zu haben, eröffnete er das Gespräch, indem er auf seine Teilnahme im Zweiten Weltkrieg als britischer Soldat zu sprechen kam. Obwohl die Deutschen unter Hitler England mit Krieg überzogen hatten, das Land, speziell den Süden und die Hauptstadt London übel bombardiert und zerstört hatten, der arme Schaffner deshalb Soldat werden musste und in Frankreich und Deutschland gegen deutsche Soldaten kämpfte, war er die Freundlichkeit und Höflichkeit in Person. Nachdem er ein wenig von seinen Kriegserlebnissen preisgegeben hatte, endete er seine Ausführungen, indem er äußerte, dass es für ihn eine große Ehre gewesen wäre, gegen die überaus tapferen Deutschen gekämpft zu haben. Er sprach über den Krieg und unsere damalige Gegnerschaft nicht im Geringsten hasserfüllt oder voller Vorurteile, sondern wie ein Sportler, der seinem besiegten Gegner nach dem Spiel bescheinigt, wie ebenbürtig er gekämpft habe, und dass es ausschließlich eine Sache des Glücks war, dass seine Mannschaft, die englische, und nicht unsere deutsche gewonnen habe.

Ich gestehe, dass mich dieser einfache, aufrichtige Engländer nachhaltig und stark beeindruckte, damals, 1969. Ich hätte Vorwürfe erwartet, wegen der deutschen Aggression, wegen des Leids und persönlichen Ärgers, den der Krieg für den braven Mann bedeutet hatte, schließlich musste er Frau und Kinder und seinen Beruf verlassen, um mehrere Jahre gegen die deutsche Armee zu kämpfen, dabei mehr als ein Mal sein Leben aufs Spiel setzen. Statt dessen sprach er zu mir wie einer meiner Großväter, machte mich, als Nachkömmling jener Aggressoren nicht für die Taten meiner Vorfahren verantwortlich, ja betrachtete das grausame Kriegsgeschehen gar ähnlich eines sportlichen Wettstreits.

Die Einstellung und Haltung dieses, aus einfachen Verhältnissen stammenden Engländers, war für mich umso erstaunlicher, als ich anlässlich meiner mehrmaligen Schüleraustausche in Frankreich, zwischen 1965 bis 1969, dort beim Großbürgertum, nicht beim „einfachen Volk“ wie in England, die gegenteilige Erfahrung gemacht hatte. Selbst meine Generation, d.h. großbürgerliche Franzosen der Nachkriegsgeneration, deren Vorfahren vielfach mit den Nazis kooperierten, hatten mich bei jeder sich bietenden Gelegenheit „boche“ geschimpft. Das hatte mich anfangs durchaus verstört, und mir meine Aufenthalte in Frankreich wie der französischen Schweiz zeitweilig verleidet. Dennoch hatten meine Eltern darauf bestanden, dass ich – im Rahmen unserer privaten deutsch-französischen Freundschafts-Initiative – meine zwei jährlichen Ferien-Aufenthalte in Frankreich und der Schweiz fortsetzte. (Schon allein des Sprachlernens halber)

Der englische, „sportlich-faire“ Schaffner war nur der Auftakt gewesen. Bewusst hatte mein Vater mich in einer englischen Arbeiter-Familie und nicht in einem Haus der Highsociety untergebracht. Er wollte mir jene Lektion erteilen, die ihm im Jahr 1935/36, anlässlich seines Studien-Aufenthalts in den USA, zuteil geworden war. Obwohl er zum Essen, wie anlässlich der gesellschaftlichen Ereignisse, im Haus Henry Fords verkehrte, hatte ihn Großvater in einem Haushalt eines Ford-Arbeiters einquartiert. Dies eine jener Lektionen, die in unserer Familie seit Mitte des 19. Jahrhunderts jeder neuen Generation zuteil wird, nachdem Urur-Großvater im englischen Manchester seine Lektion in gesellschaftlich-sozialer Hinsicht erhielt, und daraus seine Lehren für die von ihm in Deutschland gegründeten Unternehmen zog. Wir sollen „geerdet“ werden, und erkennen, dass keinerlei „natürliche Ordnung“ eine Unterscheidung von Menschen in „die da unten“ und die „da oben“ kennt, noch vorschreibt. Für meine Familie sind alle Menschen „gleich“, unabhängig ihrer Herkunft, ihres Berufs, ihres Einkommens, ihres sogenannten sozialen Status, ihrer Ethnie, ihrer Religion.

Meine englischen Sommer verbrachte ich also bewusst, bei der englischen working-class. Es war „indeed“, wie Engländer zu sagen pflegen, eine wertvolle Lektion, um die gesellschaftlich-sozialen und kulturellen Unterschiede zwischen Nachkriegs-Deutschland und Nachkriegs-England zu verstehen. Obwohl Deutschland Ende der 1960er Jahre eine im sozialen Umbruch befindliche Gesellschaft war, die nicht grundlos 1969 erstmals die „Sozis“ ans politische Ruder ließ, sprich die erste sozial-liberale Koalition wählte, endeten in England damals die weitgehend von den Sozialisten geprägten Jahrzehnte des 20. Jahrhunderts.

Während in Deutschland Ende der 1960er Jahre ein Ruhrpott Kohlekumpel noch mehr verdiente, als ein verbeamteter Lehrer, sprich Akademiker, herrschte in der englischen Arbeiterklasse eine Form von Wohl- und gesellschaftlich-sozialem Anstand vor, die der deutschen Klassengesellschaft damals fremd war. Der damalige englische Arbeiter besaß – fast durch die Bank – ein Eigenheim. „My home is my castle“. Er wurde überaus anständig entlohnt. Starke Gewerkschaften, denen erst Margaret Thatcher in den 1980er Jahren die Zähne zog und entmachtete, sorgten für traumhafte Arbeitskonditionen. Jeder englische Arbeiter besaß damals neben seinem eigenen Haus ein Auto, einen Fernseher, Waschmaschine, Kühlschrank, Telefon etc. Dinge, die damals gerade begannen, deutsche Haushalte der Mittelschicht zu erobern, wobei das eigene Haus bei Deutschlands Mittelschicht 1969 noch eher selten vorkam.

Doch nicht nur materiell, auch intellektuell, ausbildungstechnisch, hatten die Engländer damals eindeutig die Nase vorn. Obwohl ich in meinem zweiten englischen Sommer bei einer eindeutig obskur veranlagten Arbeiter-Familie landete – man war dort überzeugt, ein kürzlich Verstorbener erscheine regelmäßig im Hühnerhof hinter dem Haus, um Erziehungstipps für die hinterbliebenen Kinder zu artikulieren – muss ich zugeben, dass seinerzeit ein himmelweiter Unterschied zwischen englischen und deutschen Arbeiter-Haushalten existierte. So war mein erster Gast-Vater ungemein belesen und auf eine Art gebildet, die man in einem deutschen Arbeiter-Haushalt der 1960er, der die damals übliche Volksschul-Bildung genossen hatte, nie und nimmer antraf. Wie wir uns über die deutsch-englische Geschichte, Sprache und Kultur austauschen konnten, war enorm.

Der gute Mann nahm sich jedes Wochenende zusätzlich ein paar Stunden Zeit, um mit mir zu historischen Stätten zu fahren, und mir allgemein verständliche Vorträge über die römische, angelsächsische, normannisch-wikingische, wie mittelenglische Geschichtsabschnitte der englischen Vergangenheit zu halten, und mir diese in Form ausgewählter historischer Monumente real vor Augen zu führen. Museumsbesuche eingeschlossen.

Erst anlässlich einer damaligen TV Serie, die die Geschichte der Grafschaft Yorkshire vom Mittelalter bis ins 20. Jahrhundert umfasste, konnte ich ein wenig glänzen und mich revanchieren, da ich die Dialekte, die zwischen dem 16. und 18. Jahrhundert in Yorkshire gesprochen wurden, und die von den Schauspielern originalgetreu nachgesprochen wurden, ohne durch Untertitel übersetzt zu werden, besser verstand als er, der gebürtige Yorkshire-Engländer, da sie dem norddeutschen Platt, dass ich beherrsche, weit näher kamen, als dem modernen Englisch.

Ich habe all dies nicht ausgebreitet, um meine damaligen Aufenthalte in England zu skizzieren, sondern um zu verdeutlichen, wie stark sich damals – vor gut 50 Jahren – die gesellschaftlich-soziale Struktur beider Länder, die nur sieben Jahre später unter dem Dach der EU, damals noch EWG, zusammenkamen, diametral gegenüber standen. Es hätte der damaligen EWG und ihren Mitgliedern, einschließlich der nationalen Regierungen, mehr als gut angestanden, dem Rechnung zu tragen, indem man eine längere Assoziierungs-Phase vereinbart hätte, während der sich die damals sehr unterschiedlichen Gesellschaften und Kulturen hätten einander annähern können.

Obwohl sowohl Frankreich als auch Italien in den 1960er Jahren, ähnlich Englands, noch einen weitaus stärker von Deutschland unterschiedlichen gesellschaftlich-nationalen Charakter aufwiesen, als heute, die gesellschaftliche Schichtung eine völlig andere als in Deutschland war, noch weitaus mehr nationale Eigenarten und Besonderheiten das tägliche Leben dominierten, so groß, wie zwischen England und Deutschland waren die Unterschiede der Gesellschaften auf dem europäischen Kontinent nicht.

Insofern, so frage ich mich rückblickend, wohnte eventuell bereits dem anfänglichen Schock, hervorgerufen durch völlig unterschiedliche Traditionen und gesellschaftliche Realitäten, der spätere Wunsch zum Brexit inne?

Trotz EWG beispielsweise stellte sich das Warenangebot in England und Deutschland in den 1960ern völlig unterschiedlich dar. Auch wenn damals italienische Lebensmittel und „Südfrüchte“, französischer Käse, Champagner, Austern, Schnecken und Muscheln, auch italienische wie französische Automobile in Deutschland Einzug hielten, konnte die kleine, auf den Kontinent beschränkte EWG damals dem englischen Commonwealth auch nicht ansatzweise das Wasser reichen. In Groß-Britannien kam ich erstmals mit einer echt globalen Wirtschaft in Kontakt. Da konkurrierte australische, neuseeländische, irische und kanadische Butter mit einheimischer englischer, schottischer, walisischer. Neben englischem Honig wurde kanadischer, südafrikanischer, australischer angeboten. Waren aus allen Ländern des noch existierenden wie ehemaligen englischen Kolonialreichs waren ebenso selbstverständlich im Angebot, wie die Produkte aus heimischer Herstellung. Dagegen waren Produkte aus Deutschland oder der EWG nur mit der Lupe zu finden. Klar, es gab Portwein und Sherry im Überfluss, nur gehörten damals weder Portugal noch Spanien zur EWG. Umgekehrt fand man damals in deutschen Lebensmittelläden so gut wie nichts aus England, noch aus den Commonwealth-Ländern.

Die Globalisierung machte damals noch einen Bogen um Europa und speziell um Deutschland. Dort fand man damals erstaunlicherweise Kaviar, Wodka und Krim-Sekt aus der Sowjetunion, Snaimer Gurken aus der CSSR, Kadarka aus Bulgarien, Salami aus Ungarn, Schafskäse aus Bulgarien und Griechenland, jedoch nur wenig Whisky aus Schottland, kaum Ahornsirup aus Kanada und höchstens irische Butter, aber garantiert keine aus Australien und Neuseeland. Auch nicht den wundervollen englischen Tee oder den in der Arbeiterklasse beliebten Zuckersirup, als Ersatz für den weit teureren englischen Imkerhonig.

Selbst die englische Währung war 1969 in keiner Weise mit den europäischen Dezimal-Währungen kompatibel. Da herrschte noch das pure Mittelalter vor, mit Six und Twelve-Pence Münzen, urtümlichen Gewichten und nicht DIN konformen Packungseinheiten.

Bedauerlicherweise besaß die noch nicht zur EU entwickelte EWG bereits damals ihr noch heute vorhandenes Sendungsbewusstsein, demzufolge nur die Einheiten und Vorstellungen der EWG/EU das Maß aller Dinge sind, und nicht eventuell die tradierten, aus dem Mittelalter lieb gewonnenen, leicht spinnösen Einheiten einzelner Mitgliedländer.

Dabei herrscht inzwischen in der EU Wirtschaft ein Packungsgrößen Irrsinn vor, gegenüber dem die seinerzeitigen englischen Sonderpackungen ein Klacks waren. Statt den früheren 250, 500 und 1000 gr. Packungen, kreiert inzwischen jede Firma ihre individuellen, bescheuerten Packungsgrößen. Angeblich, um speziellen Verbrauchergruppen, etwa Singles oder Senioren gerecht zu werden. Doch tatsächlich haben sich die EU Packungsgrößen vom realen Leben und Bedarf völlig abgekoppelt. Stattdessen haben sie nur noch eine Bedeutung im Sinne von Preistreiberei und Verbraucher „Verarschung“. Um zusätzliche Preisanhebungen zu verschleiern, werden Packungsinhalte in jährlichem Rhythmus verkleinert, was zu absurden Gramm und Packungsinhalten führt. Einziger Zweck ist, absurd hohe jährliche Preissteigerungen, die ein Vielfaches der offiziellen Inflationsrate betragen, zu kaschieren. Trotz ständig verkleinerter Inhalte und Gewichte, werden die Lebensmittelpreise mit schöner Regelmäßigkeit, nimmt man verkleinerte Packung und Preiserhöhung für weniger Inhalt zusammen, jährlich um zweistellige Beträge erhöht. Dass die Engländer ob all dieser europäischen Tricksereien nostalgische Gefühle für Vor-EU Zeiten entwickelten, kann ich ihnen nicht verübeln. Allerdings werden auch die glühendsten Brexit Befürworter demnächst erkennen, dass sich das Rad nicht eins zu eins zurückdrehen lässt.

Die gebildeten, recht wohlsituierten englischen Arbeiter gibt es seit Margret Thatcher nicht mehr. Die ehemaligen Kolonien, der Commonwealth, hat sich weitgehend anderweitig aus und einerichtet. Die Globalisierung ist eine Tatsache. Ihr Zurückdrehen, im Interesse von Klimaschutz und sozialer Gerechtigkeit lässt sich kaum nationalstaatlich, denn besser im Konzert mit Gleichgesinnten (EU) bewerkstelligen.

Great-Britain doesn’t rule the sea any more, und wird es auch nie wieder. Das zeigt sich bereits an den hart umkämpften englischen Fischfang-Gründen, die beinah einen Brexit-Vertrag verhindert hätten.

Insofern wünsche ich den englischen Freunden – ohne jede Häme – wirklich alles Gute auf ihrem Weg, back to the roots. Denn wie es ausschaut, sehen die unabhängigen Nationen der Schotten und Waliser die Dinge deutlich anders, als die Zentralregierung in London. Es ist insofern nur eine Frage der Zeit, bis die genannten Länder bei der EU um Wiederaufnahme nachsuchen. Hoffentlich erst, wenn sich die EU radikal erneuert und besser aufgestellt hat, als zur Zeit. Dem verkleinerten England dürften dann nur wenige Optionen bleiben; es sei denn, am Ende finden sich die ehemaligen Weltbeherrscher mit einer Rolle im Schatten anderer, größerer Nationen ab. Das wiederum bezweifle ich, soweit ich den englischen National-Charakter kennen gelernt habe.

Doch das ist Zukunftsmusik. Heute heißt es erst einmal Abschied nehmen und dem real eingetretenen Brexit ins Auge zu schauen. Bye-bye Great-Britain.

P.S. Eine nostalgische Erinnerung muss ich in dem Zusammenhang noch teilen: es hatte für mich, als damals 16 Jährigem, eine erhebliche emotionale Bedeutung, wenn ich ein englisches Kino aufsuchte, um einen Film anzusehen, dann erhob sich das Publikum vor Filmbeginn, sang voller Inbrunst „God save the Queen“, führte dabei eine Hand ans Herz und salutierte vor der, auf der Leinwand gezeigten Nationalflagge, bevor das profane Leben zurückkehrte, indem der Film begann. Im damaligen deutschen Kino wurde stattdessen nur die Kino-Wochenschau gezeigt, eine Art „Tagesschau“ im Wochenrhythmus und Kinoformat. Sehr nüchtern und wenig erbaulich.

Titelbild: duncan c CC BY-NC 2.0 via FlickR

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