Im folgenden veröffetnlicht Europa.blog einen Bericht über die Lage in Brasilien drei Monate nach der Amtsübernahme von Präsident Bolsonaro. Der Beitrag wurde von dem Freundeskreis der brasilianischen Landlosenbewegung MST Deutschland e.V. erstellt und über deren Newsletter vom 30. März 2019 verteilt. Die Wiedergabe des Beitrags an dieser Stelle erfolgt mit Zustimmung des Freundeskreises.

Brasilien ist ein wichtiger Handelspartner der EU. Derzeit verhandelt die EU-Kommisson ein Freihandelsabkommen mit den Mercosur-Ländern, zu denen neben Brasilien auch Argentinien, Paraguay und Uruguay gehören. Hintergrundinformationen zu den Handelsbeziehungen zwischen der EU und Brasilien finden sich hier.

Schon in den ersten Tagen zeigte der neue Präsident bereits im Schnellschritt, dass er das Land gehörig umkrempeln und zahlreiche Rechte und Errungenschaften einschränken will. Zahlreiche Maßnahmen sorgten – auch international – für Kontroversen.

Es begann mit Änderungen in der Umweltpolitik, die eine fortschreitende Abholzung im Amazonasgebiet mit sich bringen, einer radikalen Kürzung bzw. Abschaffung von Strukturförderungsprogrammen auf dem Land, ‘ideologische Säuberung’ und Zusammenlegung von Ministerien, sowie Etablierung rückwärtsgewandter Ideologien im Bildungssystem, die weder mit der Geschichte des Landes, noch mit der Vielfalt der brasilianischen Gesellschaft kompatibel sind und der Ankündigung, die Demarkation indigener Gebiete zu beenden.

Entgegen Bolsonaros Bekundungen, als Saubermann in der Politik neue Maßstäbe zu setzen, wurde die neue Regierung schon wenige Tage nach Amtsübernahme von Vorwürfen illegaler Wahlkampfmaßnahmen eingeholt. Auch die Verwicklung des Bolsonaroklans mit Milizen in Rio de Janeiro bei der Ermordung der schwarzen Stadträtin Marielle Franco im März 2018, die nun zu den ersten Festnahmen führten, werfen viele Fragen nach Glaubwürdigkeit und Vertrauen in die amtierende Politikerriege auf.

So kam die kurzzeitige Festnahme des Ex-Präsidenten Michel Temer (PMDB) Bolsonaro vergangene Woche vielleicht ganz gut gelegen, um zumindest zeitweise vor den weiterhin kontrovers diskutierten Änderungen im Arbeits-und Rentensystem und den dagegen stattfindenen landesweiten Protesten abzulenken. Inzwischen ist Temer wieder auf freiem Fuß. Ob es zu einem Prozess kommen wird ist noch offen.

Auch international hatte der Präsident seine ersten Auftritte. Letzte Woche fand ein Treffen mit Donald Trump statt, mit dem Versprechen eines wirtschaftlichen und geostrategischen Schulterschlusses und damit einer Neuausrichtung der internationalen Kooperation mit den USA. Weniger als zehn Minuten hingegen dauerte Bolsonaros Vorstellung Ende Januar beim Weltwirtschaftsgipfel in Davos, in der er die Weltgemeinschaft einlud, doch mehr in Brasilien zu investieren und sich des Reichtums des Landes zu bemächtigen – man besitze ja so viele Ressourcen und habe, noch, die schönsten Wälder der Welt. Dabei ist die derzeitige Politik ziemlich offensichtlich nicht gerade auf Schutz von Biodiversität, traditionellem und kulturellem Reichtum ausgerichtet.

Ende Januar ereignete sich die dramatische Tragödie des Dammbruchs in Brumadinho, abermals, wie 2015 in Mariana in Minas Gerais, verursacht durch den Bruch eines Rückhaltebeckens des Bergbaukonzerns Vale. Beide Vorfälle bringen gravierende Folgen für die dortige Bevölkerung mit sich und zerstörten gesamte Ökosysteme in der Region bishin zum Atlantik.

Ein Zeichen, dass das jetzige Wirtschaftsmodell an die Grenzen stößt? Von der noch Wochen zuvor lautstark verkündeten Ausweitung des Bergbaus wurde jedenfalls abrupt nicht mehr gesprochen. Welche Veranwortung allen voran deutscher Unternehmen der Vorfall von Brumadinho mit sich bringt, zeigt umfassend der Beitrag von Christian Russau, auf den wir an dieser Stelle verweisen wollen.

Dass in der internationalen Zusammenarbeit die Menschenrechte und der Schutz der Umwelt nicht vernachlässigt werden, forderte auch der deutschlandweite Zusammenschluss KoBra im Vorfeld des für Anfang März angekündigten, dann aber doch kurzfristig abgesagten Besuchs in Brasilien des Ministers für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung Gerd Müller (CDU/CSU).

Die Konsequenzen der graviernden Änderungen in der Ernährungssouveränität des Landes, die viele Jahre lang mit der Etablierung von Ernährungsräten und Schulspeiungsprogrammen darauf abzielte, insbesondere den jüngsten Mitgliedern der Gesellschaft eine gesunde Ermährung zu garantieren, zeigt jüngst ein weiterer Beitrag von KoBra sowie ein internationaler Aufruf von FIAN, der weiterhin hier unterschrieben werden kann.

Wie sich Bolsonaros Politik und vor allem auch die Einflussnahme der noch in den Hinterreihen agierenden Militärs, Evangelikalen und Agrarlobbyisten im Parlament weiter auswirkt, ist aufmerksam zu beobachten. Gerade scheint das Land zumindest politisch und wirtschaftlich in ein ziemliches Chaos zu versinken.

Gleichzeitig wächst, nach erster zurückhaltendender Beobachtung, der Widerstand im Land. Dies zeigte sich in den letzten Wochen vehement in einem äußerst politisierten Karneval, starken Protesten rund um den internationalen Frauentag, den überall im Land und auch international stattfindenen Gedenkfeiern für Marielle Franco und der zur Zeit sehr interessanten, ruhigen, aber bewussten Haltung der sozialen Bewegungen – allen voran der Landlosenbewegung MST.

Welch politische Strahlkraft und Mobilisierungspotential die Strategien der MST weiterhin mit sich bringen, wurde besonders deutlich in den Aktionen unter dem Motto Março das Mulheres. Nach längerer Pause als Vorsichtsmaßnahme fanden Anfang März gleich mehrere Besetzungen und Aktionen statt: u.a. wurde die Fazenda von João de Deus, der wegen Missbrauch und mehrfacher Vergewaltigung angeklagt ist, besetzt, und ein Zug des Minenkonzerns Vale wurde in Minas Gerais blockiert.

Titelbild: Ocupação MST – INCRA Belo Horizonte: Representantes do MST – Movimento dos Trabalhadores Sem Terra de Minas Gerais estão ocupando todo o prédio do INCRA em Belo Horizonte, sem previsão de saída do local. (01.02.2013) | Foto: Fora do Eixo CC BY-SA 2.0

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