Von Frederik D. Tunnat

Gerade eben hat die TAZ einen grundsätzlich aufschlussreichen Artikel unter der Überschrift „Hitzefrei für Reiche – Durch den Klimawandel werden Sommer in Berlin gefährlich heiß. Unsere Analyse zeigt: Wohlhabende leben in den kühleren Gegenden, Arme müssen schwitzen“, veröffentlicht.

Da der Klimawandel nichts Neues ist, sondern seit mindestens zwei Jahrzehnten gerade in Berlin deutlich spürbar ist, finde ich, dass die TAZ Journalisten etwas spät damit dran sind, dieses tatsächlich brisante Thema, speziell in der unguten Mischung  – Großstadt-Klimawandel = Affenhitze im Sommer – endlich aufzugreifen. Ich selbst habe seit dem Jahr 2000 in diversen Artikeln, wie in mehreren Büchern sehr nachdrücklich auf das Thema verwiesen und die von mir registrierten, fatalen Auswirkungen auf das sich verändernde Klima beschrieben. Ich kann nicht behaupten, es habe viele Reaktionen auf speziell dieses Thema gegeben – auf andere, weniger existentielle hingegen schon. (Das zeigt dass Klimawandel noch längst nicht ins Bewusstsein Vieler vorgedrungen ist.)

So sehr ich deshalb grundsätzlich begrüße, dass die TAZ sich dieses brisanten, für immer mehr Menschen bedrohlichen Themas angenommen hat, missfällt mir der klassenkämpferische Ansatz, der gewählt wurde, indem er Klimawandel unisono, ausschließlich als ein Problem zwischen Armen und Reichen darzustellen versucht, ausgerechnet in Bezug auf Berlin.

Berlin war von Beginn an, speziell seit Beginn des 19. Jahrhunderts, eine Stadt des Proletariats. Das lag nicht nur daran, dass die preußischen Könige und späteren Kaiser sie zu ihrer Hauptstadt und damit dem zentralistischen Mittelpunkt ihres sich mächtig und rasant industrialisierenden Reiches machten, sondern an den zahllosen, schlecht bezahlten industriellen Arbeitsplätzen, die dort entstanden und einen mächtigen Sog, speziell auf die unterentwickelten östlich-agrarischen Gebiete ausübte, von wo einfache Menschen in die wachsende Hauptstadt strömten. In diesem Zusammenhang sollte die teilweise weit vorausschauende und vielfach mustergültige städteplanerische Bewältigung der damit verbundenen Probleme Beachtung finden – gerade im zeitgenössischen Vergleich, während dem den amtierenden Regierungen und der regionalen Verwaltung nicht einmal ein Minimum dessen gelingt, was die heute völlig und falsch wie einseitig diskreditierte preußische Verwaltung seinerzeit auf die Beine stellte. Dass Berlin über breite, oft mit zahlreichen Bäumen versehene Straßen verfügt, eine Menge über das Stadtgebiet verteilte Parks, sowie Wohnquartiere für arme und reiche Menschen, ist ein historisches Pfund, von dem die Stadt und ihre seit Jahrzehnten überforderten Verwaltungen noch heute zehren.

Die entscheidenden und gröbsten Fehler in städtebaulicher und planerischer Hinsicht wurden durch die Nazis, die Regierung der DDR, und nach dem Krieg und den gewaltigen Zerstörungen von den völlig überforderten Westberliner Senatsverwaltungen begangen. Dass hierauf nicht an einer einzigen Stelle in dem politisch hoch aufgeladenen Artikel Bezug genommen wird, ist Ausdruck sowohl mangelnden historischen Wissens, wie Bestätigung einer politisch höchst einseitig gefärbten Brille, die die Sichtweise auf dieses herausfordernde, zunehmend existentielle Thema eher vernebelt, denn verschärft.

Es sind viele erst im Nationalsozialismus wie im real existierenden Sozialismus Berlin zugefügte Bausünden und städteplanerische Verunstaltungen, die das bis dahin weitgehend harmonische und relativ umweltverträgliche Berlin preußischen Zuschnitts verunstalteten und dem nun vorherrschenden Klimawandel zum Fraß vorwarfen. Soweit mein erster Kritikpunkt.

Hätten sich die politisch einseitig aufgeladenen Autoren des Artikels, dessen Grundanliegen höchst verdienstvoll ist, indem er gewisse Nachweise erbringt, die erfühlt längst bekannt und bewusst waren, im Rahmen ihrer Recherche mit historischen Stadtansichten Berlins vor dem Ersten Weltkrieg beschäftigt, wäre ihnen aufgefallen, dass die um die Jahrhundertwende, also in den Jahrzehnten zwischen 1880 bis 1914 entstandenen damaligen Berliner Neubauten (heutige Altbausubstanz) und neuen Stadtviertel überaus „demokratisch“ geplant, erbaut genutzt wurden. Der materielle Unterschied zwischen zeitgleich entstandenen Vierteln in Friedenau und Schöneberg zu denen in Prenzlauer Berg oder Spandau und Tegel, zu dem auch das im Artikel zitierte Heiligensee gehört, zeigen, dass für diese heute als großbürgerlich angesehenen Häuser identische Materialien genutzt wurden: massives Ziegelmauerwerk, das im Sommer spürbar kühlenden Effekt aufweist, wie im Winter die Wärme relativ gut speichert. In Verbindung mit den typischen Berliner Kastenfenstern, etwas, was bis dahin nur den Palästen der Adligen und Reichen vorbehalten war, nämlich je einem Fenster außen und einem innen, mit 15 bis 25 cm Zwischenraum (Luftpolster zur Wärmedämmung), weist noch heute einen Wärmedämmwert auf, der nahezu denen empfohlener Dreiglasfenster entspricht. Da die damaligen, heute verachteten und als Militaristen abgestempelten preußischen Bauherren und Planer die Maße der Paläste auf ihre Neubauten übertrugen, entstanden teilweise palastartige Wohnungen von bis zu 250 m² Wohnfläche, deren Raumhöhe 3,50 bis 4 Meter beträgt. All dies kam nicht nur den damals wohlhabenden Menschen zugute, die sich eine Belle Etage mit 250 m² allein leisten konnten, sondern auch vielen damaligen Proletariern. Selbst einfache Angestellte und viele Arbeiter lebten in denselben solide gebauten Häusern mit denselben Ausstattungsmerkmalen, bis auf den Unterschied, dass die Wohnungen der Armen deutlich weniger m² umfassten, also nur 50 oder 60 m² aufwiesen. Es gab noch eine andere Kategorie von Wohnungen. Das waren die Kellerwohnungen, stickige, muffige, verschimmelte Räumlichkeiten, die sich die Einwanderer der damaligen Zeit aus dem Osten Europas und vom platten Land in Deutschlands Osten teilen mussten, bevor es ihnen nach einigen Jahren gelang, in feste Arbeitsverhältnisse und die höheren Stockwerke im Haus aufzusteigen.

Die damaligen Berliner Neubauten zeichnete ferner, wie man auf den erwähnten historischen  Stadtansichten sieht, aus, dass sie alle mit Außenjalousien gegen zu viel Sonne im Sommer ausgestattet waren, was einen enormen Kühleffekt mit sich brachte. Auch wurden damals überall Bäume gepflanzt, sowie in jedem größeren Quadrat Markthallen, sowie Parks und Spielplätze eingerichtet. Dass vieles hiervon dank Hitler zerbombt, zerstört und nie wieder in gleicher Weise nach dem Krieg hergestellt wurde, muss unseren Nachkriegspolitikern angelastet werden, aber bitte sehr nicht den zu Unrecht verrufenen Preußen. Nach dem Krieg wurden einerseits aus Kostengründen wie aus einem falsch verstandenen neuen Schönheitsempfinden zahlreiche herrliche Altbaufassaden entkernt, d.h. nicht nur ihrer schönen Außenansicht beraubt, sondern damit auch eines Teils ihres Klima- und Wärmeschutzes. Aus Kostengründen wurden fast nirgendwo die Außenjalousien ersetzt; statt der zerstörten, zersplitterten Kastenfenster wurden miserable Einfachglasfenster eingebaut. Zudem wurde Berlin von den ausgebombten und völlig verarmten Menschen in den Jahren nach 1945 völlig entwaldet. Nicht nur der Tiergartenpark wurde platt gemacht, alle Parks wurden ihrer alten Bäume beraubt, die in den Straßen sowieso. Nicht immer und überall hielt man es im Nachkriegs-Berlin für opportun, oft aus Kostengründen, aber auch aus Mangel an Verständnis, und damit das Klima, neu aufzuforsten. Dadurch verlor Berlin eine Menge seiner ehemaligen innerstädtischen Grünflächen, die heute, in Klimawandelzeiten Gold wert wären. Ein Blick auf alte Stadtpläne könnte der Wissenslücke Abhilfe schaffen, doch was soll’s, es geht ja ums Politisieren, nicht wirklich und ausschließlich um den Klimawandel.

Die unbeschreiblichen Bausünden in Ost- wie West-Berlin nicht zu erwähnen, die mit Bezug zum Klimawandel sich heute als äußerst bedrohlich und nachhaltig auswirken nicht mit einer Silbe zu erwähnen, beweist die enge ideologische Ausrichtung des Artikels. Denn exakt in diesen Neubauwüsten, überwiegend Ostberlins, deren einziger Sinn und Zweck es war, Massen wohnungsloser Menschen nach dem Krieg rasch ein Dach über dem Kopf zu geben, zu möglichst geringen Kosten und ohne Rücksicht auf Klima und dessen Wirkungen, sorgte dafür, dass Berlin in exakt diesen Viertels heute die größten Probleme in Bezug auf den Klimawandel aufweist.

Was nun die überstrapazierte Melodie von den zur Hitze verurteilten Armen Berlins und den angeblich in komfortabler Kühle lebenden Berliner Reichen anbelangt, so widerspricht sich der Artikel, und damit dessen Verfasser, selbst. Denn sehr nonchalant übergehen die Wissenschaftler die etwas schizophren erscheinenden Fakten, dass die angeblich die Kühle suchenden und finanzierenden Reichen Berlins in gewissen, klimatisch äußerst kritisierten innerstädtischen Viertel, etwa im Prenzlauer Berg, nicht nur leben, sondern dort astronomisch hohe Mieten abdrücken. Da das zum gewählten Motto nicht recht passen will, wird es mit einem Satz und bedeutungslos im ideologisch verbrämten Kampftext abgefrühstückt. Längst gibt es, im Zusammenhang mit den aktuellen Veränderungen innerhalb Berlins Bevölkerung der letzten drei Jahrzehnte, weit mehr Viertel wie den Prenzlauer Berg, in dem sich die Superreichen und die Superarmen fast Tür an Tür mischen. Auch dass hätte nicht unter den Tisch gekehrt werden dürfen.

Ich selbst lebte in so einem angeblichen Reichenviertel, dem Bayerischen in Schöneberg, an der Grenze zu Friedenau einer- und zu Wilmersdorf andererseits. In exakt der beschriebenen Umgebung, direkt am Park, in einer Alleenstraße mit vierfachen Baumreihen. Laut Artikel also eine Ecke, die sich angeblich bloß die bösen Superreichen leisten können, und in der es im Sommer so angenehm kühl sein soll, im Gegensatz zu den Quartieren der Bürgergeldempfänger. Da ich dort 13 Jahre lebte, kann ich weit realistischer als die in ihrem klimatisierten Redaktionsbüro arbeitenden TAZ Journalisten die realen Klimabedingungen dort beschreiben. Leider gehörte das Haus, in welchem ich, mit Blick auf den Park und seine angeblich so kühlenden Bäume lebte, in einer Straße mit vier Baumreihen, die angeblich so enorm viel Kühle spenden, zu jenen Häusern, die dummerweise zu Beginn der 6oer Jahre modernisiert wurden. Das bedeutet, fast sämtliche schönen, äußeren Fassadenschmuckelemente wurden entfernt bzw. nicht erneuert. Trotz der angeblich so kühlenden Umgebung, der massiven, dicken Ziegelwände, der erneuert eingebauten Kastenfenster und der beeindruckenden Zimmerhöhe von 4 Metern, die heiße Luft nach oben steigen lässt, so dass es in Steh- und Sitzhöhe in diesen Wohnungen mit Sicherheit im Sommer kühler und angenehmer auszuhalten ist, als in Ost-Plattenbauten mit niedriger Decke, war es mir, der ich ländliches Leben im eigenen Haus gewöhnt war, im Sommer deutlich zu heiß.

Deshalb sah ich mich nach etwas um, das unser mustergültiger Artikel – vermutlich ebenfalls bewusst – verschweigt: Berlins zahllose Datschen im Osten und die Wochenendhäuschen im Westen. Also kleine, 24 bis 40 oder gar 60 m² große Sommerhäuschen im Grünen, oft an einem See oder Berliner Gewässer gelegen, natürlich ebenso an Bahngleisen oder an Autobahnen, aber immer umgeben von kühlendem Grün. Ehrlich gesagt hätte ich Berlin und speziell die ständig heißer werdenden Sommer zwischen 2000 bis 2016 niemals so lang ertragen, hätte ich nicht zusätzlich zur Wohnung einen Kleingarten gehabt. Ich würde mal vorsichtig schätzen, aber sicher werden bis zu 50% dieser Kleingärten von Arbeitslosen oder prekär Beschäftigten besessen, die folglich zu Zehntausenden das besitzen, was angeblich Berlins Reichen vorbehalten ist: eine grüne, kühlende Oase, oft vor den Toren Berlins oder an der Peripherie gelegen. Das hätte man den Lesern nicht unterschlagen dürfen, da dadurch der falsche Zungenschlag des Artikels signifikant ad absurdum geführt wird. Mir ist bewusst, dass an dieser Stelle die echten, aufrichtigen Befürworter sozialer Gerechtigkeit einwenden werden, dass die mehrere hunderttausend Berliner Datschen nur dann zählen könnten, wenn jeder Arbeitslose und Einwanderer sie zusätzlich zum Bürgergeld gestellt bekäme. Ich lasse das mal so stehen, ohne zu kommentieren.

Wie gesagt, ich konnte den vormaligen Garten des ehemaligen Ostberliner Bauhof Kombinatsleiters kaufen, auf dem dieser einen modernen, übergroßen Bungalow mit Materialien des Baustoffkombinats versteht sich, also dem Staat geklauten Materialien, erbaut hatte. Nach der Wende, ohne Job und die Möglichkeit weiterhin durch Korruption an zusätzliches Geld zu kommen, verkaufte er das Gartenhaus im Kleingartenverein, um sich in den billigeren sonnigen Süden Europas abzusetzen, versehen mit einer relativ üppigen, vom ehemaligen Klassengegner finanzierten Rente. Das war einer der Gewinner der Wende, ehemalige Ost-Funktionäre, die sich auf Kosten ihrer Mitbürger bereichert hatten, und nun mit Westkohle ein Leben wie Westreiche führten. Da die Datsche allerdings innen mit dem ostdeutschen Pendant des westdeutschen Gelsenkirchner Barocks höchst geschmacklos verunstaltet war, musste ich fast nochmal dieselbe Summe in die Entkernung innen und den Umbau des Hauses für modernes Innendesign investieren. Heraus kam ein ländlicher Berliner Fluchtpunkt im schon fast ländlichen Vorort Wilhelmsruh. Die Nähe eines großen Parks sowie riesige umgebende Wiesen machten den Garten, speziell im Sommer, zu einer grünen und kühlen Oase. Alter Baumbestand und ein Gartenteich sorgten für viel Schatten und zusätzliche Kühle. Sobald ich die ehemalige Stadtgrenze, symbolisiert durch den S-Bahn-Ring unterquerte, um nach Wilhelmsruh abzubiegen, sank das Thermometer nicht um ein, sondern um 3 Grad.

Anders als in der angeblich privilegiert liegenden Innenstadtwohnung, wo es sommers in der Nacht tropisch, also um die 24-25 Grad blieb, sank die Temperatur bei geöffneter Terrassentür und geöffnetem Schlafzimmerfenster in der Gartenlaube auf mindestens 18 bis 15 Grad. Zudem konnte man mit dem Fahrrad am Morgen zu einem nahen Bäcker fahren, wo es echte Ost-Schrippen gab und herrlich frisches Brot. Zur Not zu Fuß gelangte man in den riesigen Park, dessen breite, schattige und kühle Wege selbst im heißen Sommer das Joggen ermöglichten.

Meine Nachbarn in der Kleingartenanlage waren allesamt Ostdeutsche Spießer, vielfach früh verrentet, arbeitslos. Sie verlebten von Mai bis Ende Oktober ihr Leben in dieser grünen Oase, in der sie eifrig eine Menge Gemüse, Kartoffeln und Obst anbauten, und sich so ein preiswertes, ökologisches Leben leisteten. Zwei Seen in der Nähe waren mit dem Rad erreichbar, doch aus DDR Zeiten noch hochgradig voller Chemie, dass ich das Schwimmen dort den abgehärteten DDR Bürgern überließ, während ich ein paar Minuten gen Norden fuhr, um im Liepnitzsee  meine Runden zu schwimmen.

Obwohl als Wessi mit Job quasi der Paradiesvogel unter den Kleingartenmitgliedern, entsprechend argwöhnisch beäugt, ob meiner freizügigen Auslegung der Kleingartenvor-schriften regelmäßig beim Vorstand angeschwärzt, half mir dieser Garten und sein Bungalow, Berlin und seine sommerliche Hitze zu überleben. Zumal ich bereits damals das Privileg hatte, mir aussuchen zu können, ob ich im Homeoffice arbeiten, oder mich ins innerstädtische Büro verfügen wollte.

Welch ideellen und klimatischen Wert ein solcher Kleingarten besitzt, lernte ich, als ich während der Berliner Jahre zeitweilig in Frankfurt am Main tätig sein musste. Die dortige Dachgeschosswohnung, wiewohl architektonisch reizvoll und ausgezeichnet modernisiert, erwies sich in Sommernächten als wahre Hitzefalle. Da half auch Durchzug und sperrangelweit geöffnete Fenster nichts. Dafür strömte dann der Lärm der beiden nahen vierspurigen Straßen ungefiltert herein, so dass ich mich beinah an den Lärmpegel in Londons Südwesten erinnert fühlte, wo ich zwar in angeblich privilegierter Lage wohnte, doch enormen Grtoßstadtlärm zu ertragen hatte.

Um auf meine Eingangskritik zurück zu kommen: ganz so schwarz-weiß, wie uns die TAZ weismachen will, verhält es sich nicht, auch nicht in Berlin. Auch Reiche leben in der innerstädtischen Hitze und müssen sommers mit dem Klimawandel und dessen extremer werdenden Temperaturen ebenso fertig werden wie ihre ärmeren Nachbarn. Eventuell können sie sich häufiger als Arme eine Klimaanlage und den dazu nötigen Strom leisten, aber dass sie kühl und angenehm durch Berliner Sommer kommen, ist eine Mär. Selbst im Grunewald wird es inzwischen im Sommer, oder auch in Heiligensee, höllisch heiß. Der Benefit beider Standorte sind schöne, große Villen, sowie entweder Swimming-Pools oder nahe Seen. Doch außer der Enge, die eine Datsche bietet, leben die dort den Sommer verbringenden Armen Berlins nicht anders, als die reichen Menschen in Berlins Villenviertel. Es ist angenehm kühl und die Luft ist ungleich besser als in der Innenstadt. Dennoch wählen, wie der Artikel nur in einem Nebensatz erwähnt, auch Reiche die Innenstadt zum Wohnen, völlig freiwillig und dem Klimawandel zum Trotz – zahlen gar astronomische Summen für Eigentumswohnungen, umgeben von den Armen und prekär Beschäftigten Berlins.

Und noch etwas in Bezug auf die Armen Berlins. Niemand zwingt sie, in Berlin in Arbeitslosigkeit oder prekärer Arbeit zu verharren. Ich habe, unabhängig vom Klimawandel noch nie verstanden, weshalb gerade Arbeitslose und Bürgergeldbezieher, um den Stress mit den Behörden und ums Geld zu reduzieren, nicht viel häufiger Berlin Richtung kühlem platten Land verlassen. Abgesehen davon, dass es dort kühler ist, sich gesünder lebt, geringere Mietkosten anstehen, die Ämter weit und die Jobs noch rarer sind, als in Berlin. Auf dem platten Land kann man gerade als Langzeitarbeitsloser viel entspannter leben, als in der Großstadt, wo es prekäre Jobs, Ein-Euro-Jobs und jede Menge sinnloser Schulungen gibt. Auf dem Land gibt’s all das kaum. Dort gibt es stattdessen Ruhe vor den Behörden und viel Kühle, sowie Badeseen im Sommer. Und für diejenigen Arbeitslosen, die echt keinen Bock aufs Nichtstun haben, gibt’s bei den örtlichen Bauern oder lokalen Handwerkern Jobs, die insofern besser sind als in der Stadt, als sie nah der Wohnung liegen und noch so etwas wie work-life-balance bieten.

Wenigstens derartige Tipps hätte ich von politisch aufgeladenen Journalisten erwartet, um den armen, Geknechteten, Verlieren dieser Gesellschaft und Hauptbetroffenen der Klimakrise ein paar nützliche Auswege aus der Großstadthitze und einer großstädtischen Perspektivlosigkeit aufzuzeigen.

Das platte Land wartet auf Menschen. Und wer nicht in neonaziverseuchten ländlichen Gegenden Ostdeutschlands leben mag, der findet in den abgehängten Gegenden des Westens, so im Saarland, in Gegenden Rheinland-Pfalz, im Grenzgebiet zu Tschechien also im Bayerischen Wald, nahezu ideale Lebensbedingungen: jede Menge freie, bezahlbare Wohnungen, eine extrem geringe Dichte an Jobcentern, wenig Leih- und Prekärjobs, Natur, mehr Kühle im Sommer, eine Umgebung, in der Kinder weit besser aufwachsen als im großstädtischen Slum, sowie den einen oder anderen, eventuell nicht übermäßig anspruchsvollen, aber immerhin bezahlten Job. Das hätte zur Abrundung des Bildes über die angeblich in Kühle lebenden Reichen und die in Hitze dahin vegetierenden Armen aus meiner Sicht, wie aus Gründen der Perspektive und Ausgewogenheit dazu gehört.

Alles stets und immer nur auf Reiche und Arme zu reduzieren, greift viel zu kurz. Auch gehört nach meinem Verständnis von Demokratie dazu, eigene Initiative zu ergreifen und zu zeigen. Niemand ist zu lebenslangem Leben in einem Slum, in unwürdigen Verhältnissen verurteilt. Man muss jedoch abwägen, was man wirklich will. Wenn man viele Kneipen und viele Angebote für eine besoffene oder verkiffte Freizeit auf Staatskosten will, ist man sicher in Berlins Sommerhitze besser aufgehoben, als im Bayerischen Wald. Doch wem es Ernst ist, sein Leben selbst zu gestalten und wieder selbst Kontrolle zu übernehmen, der muss sich bewegen. Wem es ernsthaft um die Zukunft seiner Kinder und deren Zukunftschancen geht, verharrt nicht in der Großstadt, sondern sucht einen Ausweg in Kleinstädten oder auf dem Land. Dort gehen die Menschen aus, weshalb dort noch bezahlbarer Wohnraum vorhanden ist, sowie einfache Jobs, aber bezahlt und ohne Jobcenter-Stress und extreme Sommerhitze. Selbst Arme und vom System nicht bevorzugt Behandelte haben also Optionen, sowohl einer prekären Situation, dem gefährlicher werdenden Klima, wie scheinbar aussichtslosen Lebenslagen zu entfliehen. Sie müssen nur den Willen dazu aufbringen und den Mut, etwas Anderes, Neues zu wagen. In der Regel wird Eigeninitiative belohnt.

Wiewohl ich ohne wenn und aber dafür bin, Erben, Firmen und Reiche effektiver zu besteuern als aktuell, wie sehr ich für den notwendigen sozialen Ausgleich eintrete, so überzeugt bin ich davon, dass jeder Mensch in einem gewissen Ausmaß und Rahmen sein Leben selbst in die Hand nehmen, gestalten oder zumindest positiv verändern kann und sollte. Weshalb wir seit zwei Generationen Landflucht betreiben, damit das flache Land entvölkern und dort Probleme schaffen, während wir die Probleme der Großstädte massiv auf die Spitze treiben, ist mir unverständlich. Was ist so furchtbar daran, auf dem Land zu leben, aber dort ein Leben zu haben, statt in einer Großstadt auf nicht existenzsicherndem Niveau dahin zu vegetieren?

Für ganz Mutige, offene Menschen gibt es weit umfassendere Möglichkeiten, ihr Leben zu verbessern, es individuell zu gestalten. Dazu liefert uns die EU – solange es sie noch gibt – geradezu unbegrenzte Möglichkeiten. Ich konnte nie und kann nicht nachvollziehen, woher diese unbegreifliche Angst, selbst bei jungen Menschen kommt, sich zwecks besserer Jobs oder Lebensbedingungen in ein anderes Land der EU zu begeben, dort zu arbeiten und zu leben. Gerade junge Menschen sollten ausprobieren, in mehreren Ländern und unterschiedlichen Gesellschaften, wo es sich für sie persönlich am besten lebt. Für den Fall von Heimweh oder Versagen bleibt die Rückkehr ins problematisch gewordene Deutschland allemal. Doch es nicht wenigstens ein oder zwei Mal versucht zu haben, um Vergleichsmöglichkeiten zu haben, das will mir partout nicht in den Kopf. Denn wer in jungen Jahren Offenheit und Flexibilität lernt, profitiert davon noch im Alter. Selbst im Rentenalter muss man nicht in deutscher Armutsrente verharren, in entwürdigenden Lebensverhältnissen, in klimakatastrophischer Hitze. Auch für Rentner, speziell finanziell klamme, wartet das Ausland zum Teil mit erstaunlichen Alternativen und günstigeren Lebensbedingungen auf. Wer es klug und überlegt angeht, gewinnt an Lebensqualität, verlängert damit sein Leben, und entkommt dem elenden Kreislauf, wie mit immer schmaler werdender Rente den ständig steigenden Lebenshaltungskosten Deutschlands gerecht zu werden.

In diesem Sinne: wer aktuell unter großstädtischer Klimakrise leidet, sollte selbst aktiv werden und etwas verändern. Andere werden es nicht für uns tun, unser Staat, seine Behörden und unsere Politiker am allerwenigsten. Sich darauf zu beschränken, die Reichen zu verdammen und auf höhere Steuern und mehr soziale Gerechtigkeit zu hoffen, hilft keinem einzigen Menschen, dessen Gesundheit aktuell durch den Klimawandel bedroht ist. Werden Sie aktiv. Verändern Sie etwas, damit sich die Situation verändert. Spätestens wenn Viele von sich aus etwas ändern, werden Staat und Behörden reagieren müssen. Ob es dann zu spät ist, entscheidet jeder Einzelne von uns, über sein Verhalten, auch und gerade in Bezug auf sommerliche Hitzerekorde in aufgeheizten Großstädten wie Berlin.

Titelbild:  Sauna nein danke! Global 2000 CC_BY-NC-ND 2.0 DEED via FlickR

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