Von Frederik D. Tunnat

So oder ähnlich tönt es vielstimmig aus dem medialen Blätterwald wie den sozialen Medien. Da werden Gegensätze aufgetürmt, Vorurteile geschürt, Verteilungkämpfe ausgerufen. Stets geht es darum, die Baby-Boomer hätten Schuld auf sich geladen, würden ihrer Verantwortung gegenüber den nachfolgenden Generationen nicht gerecht.

Ein regelrechtes Boomer-Bashing ist angesagt:

  • Boomer waren demnach unisono entsetzliche, schreckliche Eltern, „fies“, wie es Milleniums behaupten, obwohl doch die Mehrzahl der Boomer-Eltern eher für die Generation X, die Slacker, als Eltern in Frage kommt
  • Boomer „verprassen“ angeblich das Erbe ihrer Kinder, wobei die Kritik hauptsächlich von der Enkel-Generation geäußert wird
  • Boomer „verfrühstücken“ ihre überhöhten Renten auf Kosten nachfolgender Generationen
  • Boomer haben Staat und Gesellschaft in eine gefährliche Schieflage manövriert

Als Mitglied der Baby-Boomer-Generation habe ich mir all dies lange Jahre angehört, ohne mich zu äußern. Damit ist jetzt Schluss! Es ist an der Zeit, ein paar Dinge zurecht zu rücken. Das Fass zum Überlaufen brachte ein Artikel in der Taz. Erstaunlicherweise mal nicht von einem Mitglied einer jüngeren Generation, sondern von einer Baby-Boomerin, ausgerechnet. Waltraud Schwab meint: „Es wird Zeit, reichen Rentner-Boomern ins Gewissen zu reden“. Schwab fordert: „Wohlhabende Boomer, die in Rente gehen, sollten länger arbeiten. Denn es muss eine solidarische Bewegung der reichen Alten mit den armen Alten entstehen“. Das klingt erst mal durchaus legitim, zumal auch ich grundsätzlich für mitfühlende Solidarität – nicht nur unter oder gegenüber Baby-Boomern – sehr zu haben bin. Schwab fährt fort: „einen Großteil der Kosten für die Alten sollen die jüngeren Generationen … schultern … an sich ja nicht falsch: Jüngere zahlen für die Alten, wie früher die Alten für die Jungen“.

So ist es und so sollte es sein. Als Baby-Boomer habe ich klaglos ein Berufsleben lang die seinerzeit jährlich stattlich wachsenden Renten meiner Großeltern- und Eltern-Generation mit finanziert. Um konkret zu werden: gut 850.000 DM/Euro habe ich in meinem Leben an Steuern abgeführt; etwa 1.000.000 DM/Euro gemeinsam mit meinen Arbeitgebern in die Solidartöpfe für Rente und Gesundheit. Wie ich finde, erwiesenermaßen ausreichend eingezahlt und Solidarität bewiesen, um dafür als Äquivalent meine relativ überschaubare Rente zu bekommen.

Als Freiberufler, der ich seit 18 Jahren als Autor war und noch immer bin, habe ich nie aufgehört zu arbeiten; im Gegenteil arbeite ich mehr als viele Angestellte. Ich kenne keinen acht Stunden Tag, keine 40 Stunden Woche, habe keine sechs Wochen bezahlten Urlaub. Vater Staat liegt dennoch permanent auf der Lauer, um mich einerseits zum zweiten Mal Steuern auf meine bereits einmal versteuerten Rentenbeiträge zahlen zu lassen, sowie mich für meine Buchtantiemen und Einnahmen zusätzlich zur Kasse zu bitten. Kranken- und Pflegeversicherung stehen Gewehr bei Fuß, um doppelt bei mir abzukassieren, sobald gewisse Freigrenzen überschritten sind.

Im Gegensatz zur kinderlosen Kollegin Schwab, habe ich drei Kinder, wie man sagt, in die Welt gesetzt, sprich, dem Staat drei hochqualifizierte Steuerzahler beschert, die nun einen Großteil meiner Rente über ihre Steuern und Einzahlungen ins Sozialsystem aufbringen. Die Solidargemeinschaft muss – wenn ich nachrechne – kaum etwas beisteuern. D.h. ich habe nicht nur im Rahmen der Steuer- und Rentengesetze treu und brav lebenslang einbezahlt um früheren Rentnern einen sonnigen Lebensabend zu ermöglichen; ich habe zudem für meine Rente selbst vorgesorgt. Insofern reklamiere ich, mehr als genug meiner Pflicht gegenüber unserer Solidargemeinschaft nachgekommen zu sein. Insofern verbitte ich mir derart pauschalierte Äußerungen wie die damit verbundene Aufforderung durch Frau Schwab, mich meines zuvor einbezahlten Renteneinkommens zu schämen und davon, zusätzlich zu den bereits aufgebrachten nicht geringen Beträgen an Steuern, Renten- und Krankenkassenbeiträgen nun noch mehr und erneut abgeben zu sollen. Nein, genug ist genug!

Doch es geht beim Boomer-Bashing längst nicht mehr nur ums Finanzielle. Nein, wir Boomer unisono, ich im Besonderen, soll auch noch ein fieser, schrecklicher Elternteil gewesen sein. Es ist schon ungemein anmaßend von fremden Menschen der jüngeren Generationen, seien es solche der Kinder oder Enkel-Generation, sich rückblickend, ohne eigene Anschauung, ohne eigenes Erleben, hinzustellen und zu glauben, Menschen ihrer Eltern oder Großelterngeneration derart pauschal kritisieren zu müssen. Zwei meiner Kinder gingen auf eine Privatschule, Nummer drei auf eine staatliche für Hochbegabte. Alle drei haben studiert, verfügen über qualifizierte Berufsabschlüsse und zwei von ihnen sind bereits in hoch qualifizierten Jobs tätig. Nummer drei studiert noch, wird aber früher oder später dazustoßen und ebenfalls seinen Obolus in der Gemeinschaftskasse abliefern. Meine Kinder wurden zwar nicht antiautoritär, doch an der langen Leine erzogen. Sie wurden inmitten eines großen Kreises aus Bekannten, Freunden und Familienmitgliedern sozialisiert, entsprechend ihrer individuellen Begabungen gefördert und unterstützt. Strafen, speziell körperliche, waren tabu. Sie wurden zu Eigenverantwortung angehalten, wählten ihre Studiengänge und späteren Jobs ohne jede Beeinflussung durch uns Eltern. Ich vermittelte ihnen die Bedeutung und Notwendigkeit ökologischen Verhaltens und Lebensführung, wie den Wert eines demokratischen Staatswesens. Ich wünschte, die jungen, boomerkritischen Generationen würden ihre eigenen Kinder (so sie denn überhaupt welche haben) mit ebenso großer Verantwortung erziehen, sie nicht sich selbst und den desaströsen sozialen Medien ungeschützt überlassen.

Was den Anwurf der Erben-Generationen anbelangt, „wir Boomer“ würden „ihr“ Erbe verprassen, so habe ich meine sehr persönliche Meinung zum Thema. Ich stehe auf dem Standpunkt, dass es für Eltern keinerlei Pflicht gibt, ihren Kindern außer einer fundierten Ausbildung und einer wohlbehüteten Kindheit und Jugend, etwas Materielles hinterlassen zu müssen, noch zu sollen. Geld, Vermögen schlechthin verdirbt den Charakter. Sofern man als Baby-Boomer in der Lage war, ein Haus zu bauen, etwas Geld oder schöne Dinge anzusammeln, besteht aus meiner Sicht nicht der geringste Anlass, dieses „Erbe“ den eigenen Kindern zukommen zu lassen. Sofern Vermögen, in welcher Form und Höhe auch immer vorhanden ist, sollte man es, statt innerhalb der Familie, nach dem Tod der Allgemeinheit zukommen lassen. Aus diesem Grund habe ich dafür gesorgt, dass jedweder Gegenstand in meinem Besitz, der einen materiellen Wert hat, an Institutionen geht, die meine Zuwendung einer interessierten Öffentlichkeit zugänglich machen (müssen), sei es als Museum, als Archiv, als wissenschaftliche Einrichtung.

Ich stehe auf dem Standpunkt, jedes Elternpaar sollte seinen Kindern die Chance einräumen, sich selbst im Leben zu beweisen und zu entscheiden, ob sie materiellen oder immateriellen Wohlstand anhäufen wollen. Ihnen von Geburt an eine Karotte oder Wurst, in Form eines späteren Erbes vor die Nase zu hängen, ist kontraproduktiv. Indem man seinen Kindern über gute Anlagen und Gene, sowie eine bestmögliche Ausbildung und Erziehung, elementares Rüstzeug mit auf den Weg gibt, stehen ihnen sämtliche Möglichkeiten offen, ihr Leben so zu gestalten, wie sie das wünschen. Ein Erbe, zumal ein großes, ist dabei mehr als nur hinderlich. Es verändert und beeinflusst den Charakter und die Entwicklung eines Erben zum Negativen, selten zum Positiven. Das Gute daran, falls jeder Vermögende so denken und handeln würde: er bräuchte nicht länger wie ein Irrer ein Leben lang raffen und schaffen, um möglichst viel anzuhäufen; er könnte viel entspannter leben, zumal dann, wenn er von Beginn an nicht für seine Erben zusammenrafft, sondern am Lebensende die Allgemeinheit bedenkt. Diejenigen Erben, die glauben, Anspruch auf ein elterliches Erbe, zudem möglichst ungeschmälert zu haben, stellen sich durch derartige Forderungen und Ansichten selbst ins Abseits. Die Diskussion ums „verpflichtende“ Erbe, entlarvt und stellt die Fordernden bloß, nicht deren Eltern bzw. Erblasser.

Was nun den „politischen Nachlass“ von uns Boomern anbelangt, so empfinde ich diesen als zwiespältig. Trotz gesellschaftlich-politischer Revolution, Stichwort 68iger, haben wir in vielen Bereichen von Gesellschaft und Politik in der Tat versagt. Der Zustand der Erde, des Klimas, geht zu nicht geringem Anteil auf unser Konto. Auch bei der Liberalisierung der Wirtschaft, einschließlich des Aktienmarktes, haben wir als Boomer deutlich über die Stränge geschlagen. Am unerträglichsten für mich persönlich ist die Tatsache, dass die aufgeführten Fehlentscheidungen zu neuer, wachsender sozialer Ungerechtigkeit geführt haben. In politischer Hinsicht, samt den daraus sich ergebenden gesellschaftlich-sozialen wie ökologischen Krisen und Problemen, haben wir Boomer in der Tat versagt, und sei es, indem wir die falschen Parteien und Politiker zu lange Falsches machen ließen, ohne an der Wahlurne einzugreifen. Andererseits habe ich den Eindruck, dass die uns folgenden Generationen vielfach noch nachlässiger mit ihrer politischen wie gesellschaftlichen Verantwortung umgehen, als wir, die dafür zu recht kritisierten Boomer. Das kann mit ein wenig Friday for Future sowie massiver einseitiger Schuldzuweisung an frühere Generationen nicht wett gemacht werden. Übernehmt insgesamt mehr Verantwortung als bisher. zeigt, dass ihr außer maßlose Forderungen aufzustellen und Kritik zu üben, auch machen, entscheiden vor allem besser machen könnt, als wir Boomer.

Titelbild: Michael Nuccitelli Psy.D. CC0 1.0 Universal via FlickR

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