Von Frederik D. Tunnat

Als ich das sog. Friedens-Manifest ehemaliger Mitgenossen aus den Reihen der SPD las, hatte ich ein Déjà-vu der speziellen Art. 42 Jahre nach meinem Austritt aus der SPD, im Zusammenhang mit Nato-Doppelbeschluss und dem, von den geistigen Vorgängern der aktuell geistig verwirrten SPDlern erzwungenem Rücktritt Kanzler Helmut Schmidts.

Wer sich die Mühe macht, den ganzen Text des überaus peinlichen Machwerks zu lesen, findet sich an exakt jene aufregende und aufwühlende Zeit erinnert, die 1982 zur Umsetzung des erwähnten Nato-Doppelbeschlusses führte, eine Zustimmung, die den Realpolitiker Helmut Schmidt sein Amt kostete – exakt wegen ebenso verblendeter, angeblich friedensbewegter Mitglieder in der SPD, die lieber den eigenen Kanzler politisch zu Fall brachten, als sich der damaligen politisch-militärischen Realität zu stellen.

Wenn denn schon hochtrabend anzuknüpfen am inzwischen weltberühmten Manifest von 1848, dem sog. Kommunistischen, verfasst von den Herren Karl Marx und Friedrich Engels, hätten die vermeintlichen Friedensengel und Apostel der SPD doch wenigstens den Mut haben sollen, die Dinge beim Namen zu nennen und sich am historischen Vorbild zu orientieren. Dann hätte der einleitende Satz so geklungen:

Ein Gespenst geht um in Europa – das Gespenst Putin. Alle Mächte Europas haben sich zu einer heiligen Hetzjagd gegen das Gespenst Putin verbündet.

Das hätte doch etwas Ehrliches und Erfrischendes gehabt, statt dieses verdrucksten, hinterhältigen Texts, der den Verursacher der gegenwärtigen Krise, nämlich den amtierenden russischen Diktator Putin nicht ein einziges Mal namentlich erwähnt, wiewohl die Melodie des Textes und Putins Argumente kritiklos übernommen und in hinterhältiger Weise mit den Begriffen Frieden, Vertrauen und Abrüstung in einen unheilvollen Zusammenhang gesetzt werden.

Ich trat seinerzeit, zu Beginn 1983 genau wegen derartig verblendeter Genossen aus der Partei aus, weil ich ebenso wie Helmut Schmidt fest überzeugt war, dass der von Ronald Reagan initiierte Doppelbeschluss genau die richtige, nahezu einzige Antwort auf das damalige Verhalten der noch existenten UdSSR darstellte. Wie sich im Nachhinein erwies, hatten sowohl Reagan als auch Schmidt richtig gelegen: die Antwort auf die damalige Hochrüstung der greisen Herrscherclique im Kreml, nämlich Hochrüstung mit Hochrüstung zu beantworten, sowie zeitgleich Gespräche über massive Abrüstung anzubieten, war goldrichtig. Doch damals, wie heute, sind Parteien wie die alte, längst nicht mehr ehrwürdige SPD, oder bei der Linken, noch deutlicher bei der Partei der Putin Verehrerin Sarah Wagenknecht, von jeder Menge Claqueure Putins bevölkert, die dessen inzwischen mit kriegerischer Gewalt vertretenen Revisionismus, der nichts weniger als die Wiederbelebung der ehemaligen UdSSR Größe, d.h. die imperiale Hegemonie und Dominanz Russlands über Europa und große Teile der Welt vorsieht, rückhaltlos befürworten und unterstützen.

Der Doppelbeschluss brachte die marode, ohnehin dahinsiechende UdSSR binnen sieben Jahre an den Rand des Kollaps, brachte Deutschland die Wiedervereinigung, und Europa und der Welt den vermeintlich ewigen Frieden. Leider weit gefehlt, denn die Implodierung des Sowjetsystems spülte so zwielichtige Gestalten wie Putin aus den Verhörräumen und Spionagebüros des KGB an die Oberfläche und ermöglichte ihm, sich im Land erst breit zu machen, um schließlich den ganzen Laden nach Art italienischer Mafioso sich anzueignen und zu übernehmen.

Nach einem guten Jahrzehnt, während dem sich Wolf Putin bemühte, unter seinem öffentlichen zur Schau getragenen Schafspelz Unmengen Kreide zu fressen, zeigte sich seine wahre Natur um das Jahr 2014, als seine „grünen Marsmenschen“, die sich in typischer KGB Manie ihre militärischen  Abzeichen abgenommen hatten, um den inszenierten Bluff ihres in KGB Nostalgie schwelgenden Herrn und Meisters Putin umzusetzen. Mit dem damals ausgelösten Krieg gegen die Ukraine, der völkerrechtswidrigen, gegen jegliches völkerrechtlich verbindliche Abkommen verstoßenden gewaltsamen Besetzung und Okkupation der Krim sowie der östlichen Provinzen der souveränen Ukraine, zeigte Putin erstmals sein wahres Gesicht und ließ seine eigentlichen Absichten, die Entwicklung und Geschichte der vergangenen zweieinhalb Jahrzehnte gewaltsam zu revidieren, erkennen.

Es waren ähnlich friedensbesoffene, von Putins falschem Spiel eingelullte Politiker, nicht nur innerhalb von SPD, der Linken, sondern sogar in der CDU und, wenn ich‘s recht bedenke, gar der in München angesiedelten CSU, die seinerzeit Putins, vor enormen Mengen sabbernder Kreide triefende Lügen und Schalmeien glaubten – glauben wollten, schließlich muss der Rubel rollen, d.h. das Gas aus der russischen Nord-Stream Leitung strömen.

So ließ man das völkerrechtlich verbindliche Budapester Memorandum – noch so ein schöner, nichtssagender Begriff, ähnlich dem hochtrabenden Manifest – still und leise, man nennt das sang- und klaglos – in der Schublade liegen, um, statt Putin gewaltig aufs Haupt zu schlagen, was damals problemlos, sogar mit Unterstützung der USA noch möglich gewesen wäre, sich auf dessen schnödes Spiel, geködert mit russischem Mammon in Form russischen Gases und Exporten für die deutsche Wirtschaft, einzulassen. Frau Merkel insbesondere, in engem Zusammenspiel mit einem Herrn namens Hollande aus Paris, erwiesen den beiden östlichen Diktatoren, Putin und Lukaschenko, ihre Referenz, fielen vor diesen auf die Knie, und gaben die Krim und die östlichen Provinzen der Ukraine für ein fades Linsengericht in Form angeblich sicheren, billigen russischen Gases für immer fort. Der damalige ukrainische Präsident Poroschenko machte, was Wunder als wirtschaftlich Profitierender des Deals, gute Miene zum bösen Spiel. Wäre damals bereits ein gewisser ukrainischer Komödiant nicht bloß im Film, sondern in der Realität auf dem Stuhl des Präsidenten gesessen, wir hätten eine völlig andere Aufführung erlebt in Minsk, sowohl im ersten, als im zweiten Akt.

Dass man den kleinen Ganoven auf dem viele Nummern zu großen Stuhl im Kreml, Wladi Wladimirowitsch Putin, das Straßenkind und Gangmitglied aus Leningrad sogar mit dem von ihm befohlenen Abschuss einer niederländischen Verkehrsmaschine und dem Tod von rund 250 Zivilisten davon kommen ließ, ist Teil des höchst unrühmlichen Kapitels der viel zu lang betriebenen Appeasementpolitik Deutschlands wie Europas gegenüber einem diktatorischen Gangster im Kreml.

Und nun also setzen ein paar ewig gestrige, von nostalgischer Willy Brandt und Egon Bahr Verklärung umnebelte Gestalten in und außerhalb des SPD Dunstkreises an, die sattsam bekannten, immer gleichen Fehler reflexartig zu wiederholen, damit einer Neuauflage einer wie auch immer gearteten Dolchstoß-Legende Wasser auf ihre Mühlen zu geben. Was für eine Steilvorlage für die in dunkelbrauner Nostalgie watenden Demokratieverächter von der AfD. Wobei sich zwischen den dunkelbraunen und feuerroten Nostalgikern aus AfD und SPD gar eine enorme Schnittmenge auftut: in ihrer gemeinsamen Verehrung des Kriegsverbrechers, Zerstörers der europäischen Friedensordnung und des Beseitigers jeglicher Abrüstungs- und Friedensverträge der letzten 30 Jahre: Putin.

Es nimmt mir geradezu den Atem, wie dunkelbraune, tief gläubige Neonazis Arm in Arm mit strammen ultralinken, angeblich Friedensbewegten gemeinsam Politik für einen Kriegsverbrecher machen und dabei die Chuzpe haben, den demokratisch gewählten Führern in Europa (ich schließe hier weder Putins Buddies Orban, Fico und Co. ein) Kriegstreiberei und Militarismus zu unterstellen. Es ist schon verrückt, wie stark die Narrative eines abgehalfterten KGB Offiziers, der sich als Obermafioso sein Land und dessen Ressourcen angeeignet hat und nun daran geht, sich das ehemalige Sowjetimperium wieder herzustellen, auch noch Unterstützung in rechten wie linken Kreisen Deutschlands und Europas findet.

Dabei könnte es doch so einfach sein: alle Verehrer und Befürworter Putins haben die Möglichkeit und das demokratisch legitimierte Recht, ihre demokratische Heimat zu verlassen, um sich in irgendeinem hübschen Gulag häuslich niederzulassen, die Solschenizyn so eindrücklich in Ein Tag im Leben des Iwan Denissowitsch beschrieben hat. Das war 1962. Es kann also Niemand behaupten, seit nunmehr 63 Jahren nicht zu wissen, was in Putins Reich vor sich geht und ging. Oder ist das Schicksal von Alexei Anatoljewitsch Nawalny schon wieder vergessen? Ihn wie unzählige andere hat Massenmörder Putin auf dem Gewissen. Aber bitte sehr, man ist ja nicht kleinlich in einer Demokratie. Man darf Massenmörder und Kriegstreiber verehren und sogar Wahlkampf für sie betreiben, sowie Manifeste veröffentlichen, in denen man sich für Putins Ideen und gegen die legitime Reaktion der demokratisch gewählten Regierung ausspricht. Eventuell würde es den Nostalgikern innerhalb der SPD gut anstehen, sich an jene Genossen zu erinnern, die 1933 statt in den Westen gen Moskau flohen. Nur ein kleiner Teil von ihnen hat Stalin, den Vorgänger Putins, damals bis 1945 überlebt. Die, die irgendwie überlebten, waren gezeichnet für ihr weiteres Leben. So wie der wackere Genosse Herbert Wehner, der nicht wenigen unserer heutigen Manifest-Unterzeichner als Vorbild dient.

Titelbild:  Matthias Berg CC BY-NC-ND 2.0 DEED via FlickR

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