Von Jürgen Klute

Gerade in Krisenzeiten wie der jetzigen Corona-Krise ist es wichtig, dass demokratische Entscheidungsgremien arbeits- und handlungsfähig bleiben, um nötige Entscheidungen treffen zu können, die zum Ende einer solchen Krise beitragen.

Das gilt auch für das Europäische Parlament. Seine Mitglieder kommen aus allen Ecken der EU und haben oft einen weiten Anfahrtsweg nach Brüssel (und einmal monatlich nach Straßburg). Unter den aktuellen Reise- und Ausgangsbegrenzungen ist die Anfahrt um so schwieriger. Eine Abgeordnete sind mittlerweile selbst vom Corona-Virus infiziert und können und dürfen deshalb nicht reisen. Die über 700 Abgeordneten sitzen dicht an dicht im Plenarsaal. Eigentlich sind solche Massenveranstaltungen derzeit in vielen Ländern – auch in Belgien und Frankreich – nicht erlaubt.

Was also tun, um dennoch handlungsfähig zu bleiben?

Euractiv berichtete vor wenigen Tagen, dass die Verwaltung des Europäischen Parlaments beauftragt wurde, eine Technologie zu entwickeln, die den Abgeordneten sowohl eine „Fernteilnahme“ an den Plenarsitzungen als auch eine „Fernabstimmung“ an den zur Abstimmung stehenden Richtlinien, Verordnungen und Resolutionen des Parlaments ermöglicht. Das soll dann „idealerweise“ möglich sein mit einen iPhone oder einem iPad, wie es in dem Artikel heist.

Laut Euractiv soll diese Technologie bereits im Rahmen einer außerordentlichen Plenarsitzung am 26. März 2020 in Brüssel zur Anwendung kommen. Dies hat der Präsident des Europäischen Parlaments, David Sassoli, Euractiv gegenüber bestätigt. Rechtsgrundlage für Fernabstimmungen ist ein Beschluss des Präsidiums der Europäischen Parlaments vom 20. März 2020, der die geltenden Regelungen für Abstimmungen des Europäischen Parlaments entsprechend ergänzt.

Die von der EP-Verwaltung entwickelte Technologie findet aber nicht nur Zustimmung. Die Piraten im Europäischen Parlament, die der Fraktion der Grünen/EFA angehören, haben starke und durchaus nachvollziehbare Bedenken insbesondere gegen das vorgesehene Verfahren von Fernabstimmungen vorgebracht.

Patrick Breyer, der einzige aus der Bundesrepublik kommende Abgeordnete der Piraten-Partei im EP, kritisiert an dem vorgesehen Verfahren, dass es manipulativen sei und damit das Vertrauen in die Integrität von wichtigen Abstimmungen aufs Spiel setze.

Das Verfahren berge die Gefahr der Manipulation durch Hacker, präzisiert Breyer seine Kritik. Die Abgeordneten könnten E-Mails meist über mehrere Geräte versenden, und ihre Mitarbeitenden hätten normalerweise ebenfalls Zugriff auf die Mailbox der Abgeordneten, für die sie arbeiten. Es sei leicht, die Unterschrift eines Abgeordneten zu bekommen und sie einzuscannen.

Selbst wenn die Abstimmungsergebnisse veröffentlicht würden (namentliche Abstimmungen), sei nicht sicher gestellt, dass jedes Mitglied jede Abstimmung überprüfe und Manipulationen bemerken würde. Nachprüfbar wäre dies ohnehin kaum.

Das E-Mail-Verfahren berge, so Breyer, zudem das Risiko, dass persönlich gewählte und hoch bezahlte Abgeordnete des Europäischen Parlaments wissentlich anderen erlauben könnten, an ihrer Stelle abzustimmen.

Die Piraten im EP kritisieren allerdings nicht nur, sondern machen auch Alternativvorschläge. Breyer empfiehlt der EP-Verwaltung, das hastig eingeführte Verfahren fallen zu lassen und statt dessen auf praktikable und erprobte Alternativen zurückzugreifen.

Konkret schlagen die Piraten als Alternativen vor:

  • Brief-Abstimmung per Post entsprechend der bewährten Briefwahl.
  • Stimmabgabe in den Büros des Europäischen Parlaments in den
    Mitgliedstaaten.
  • Ein Verfahren ähnlich dem POSTIDENT-Videochat, bei dem der
    Abgeordnete sich vor einer Webcam in einem Live-Video-Stream
    identifizieren und seinen Stimmzettel vor die Kamera halten würde.

Titelbild: European Parliament Plenary hall | Foto: Gideon Benari CC BY 2.0 via FlickR

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