Von Jürgen Klute

[Aktualisiert am 23. / 25. / 27.08.2022]

Folgt mensch der deutschen Debatte über die extremen Steigerungen der Gaspreise und infolge auch der Strompreise, dann ergibt sich schnell der Eindruck, dass sich daran gar nichts ändern lässt – wahlweise weil es Folge einer naturgesetzähnlichen Marktgesetzlichkeit ist oder Folge des völkerrechtswidrigen russischen Überfalls auf die Ukraine, gegen die mensch nun aber leider auch nichts machen kann. Also müssen alle (wirklich alle?) irgendwie den in solchen Situationen gern bemühten Gürtel enger schnallen.

Der Logik dieser Debatte sollte mensch nicht leichtfertig Glauben schenken. Denn die bestehenden Gasfelder wurden schon vor vielen Jahren erschlossen, die Einrichtungen zur Gewinnung des Gases und die entsprechenden Pipelines bestehen auch seit Jahren. Hier sind (sieht mensch mal ab von der Fehlinvestition in Nord Stream 2) also keine überraschenden neuen Kosten im Blick auf die Gewinnung des Erdgases entstanden. Es fallen lediglich die Kosten für den Betrieb und die Wartung und Erneuerung der Infrastruktur an. Doch auch da sind, soweit ersichtlich, keine außergewöhnlichen Kostensteigerungen angefallen.

Auch die Herrichtung der geplanten mobilen LNG-Terminals ist bisher noch nicht zu Buche geschlagen, da sie noch in der Planungsphase sind. Und selbst die höheren Kosten des Flüssiggases und des teureren Transports per Schiff (im Vergleich zum Transport durch Pipelines) rechtfertigen die aktuellen Preissteigerungen nicht. Im Wesentlichen dürften die massiven Gaspreissteigerungen also Folge von Spekulationen an den Gas-Börsen sein. Die dann selbstverständlich auch die Inflation befeuern.

Darauf macht auch Eric Bonse in seinem am 18. August 2022 auf seinem Blog „Lost in EUrope“ veröffentlichten Beitrag „Gaskrise: Der entfesselte Markt macht alles noch schlimmer“ aufmerksam und führt entsprechende Argumente auf (leider ist der Artikel hinter der Paywall). Bonse schreibt:

„Zum Verhängnis wurde den Uniper-Händlern nicht nur, dass Russland am Gashahn dreht, was das lukrative Geschäft mit Gazprom kaputt gemacht hat. Als massives Problem hat sich auch die Unberechenbarkeit des europäischen Gasmarkts erwiesen, auf dem Uniper für Ersatz sorgen mußte.

Dort schwanken die Preise in einem Ausmaß, das selbst Experten für übertrieben und ruinös halten. So sprang der Gaspreis am Mittwoch auf dem maßgeblichen niederländischen Marktplatz TTF auf 230 Euro pro Megawattstunde. Damit geht der Preis erneut auf Rekordjagd.“

Dass die Gaspreisentwicklungen spekulationsgetrieben sind, darauf verwies schon im Frühjahr 2022 der belgische Premierminister Alexander De Croo. Er sprach damals von „künstlichen Preisen“ und nicht funktionierenden Märkten, wie das deutschsprachige belgische Nachrichtenportal Flanderninfo in einem Artikel vom 10. März 2022 berichtet:

„Premierminister Alexander De Croo (Open VLD) plädiert für ein Einfrieren der Gaspreise auf europäischer Ebene. Ihm zufolge sind die hohen Preise das Ergebnis von Hysterie und Spekulation, sodass eine Preisobergrenze die einzig mögliche Lösung wäre: “Die Mittel kommen nun aus der Staatskasse und gehen an Lieferanten und Russland. Wir können das nicht länger hinnehmen”, sagte der belgische Regierungschef am Donnerstagnachmittag in der Sendung Villa politica.“ […]

“Wir müssen bei künstlichen Preisen intervenieren. Die Mittel stammen aus der Staatskasse und werden eigentlich zur Finanzierung von Lieferanten oder Russland verwendet. Das können wir nicht länger hinnehmen. Wenn der Markt nicht funktioniert, muss man eingreifen und Preisstopps verhängen”, betonte der Premierminister. Auch Energieministerin Van der Straeten (Grüne) hatte bereits betont, dass sie ein Einfrieren auf europäischer Ebene will.

Weiterhin schlug De Croo einen gemeinsamen Einkauf von Gas auf EU-Ebene vor, wie Flanderninfo in dem Artikel „Energiekrise: Auch Belgiens Premier De Croo schlägt EU-weite gemeinsame Gaseinkäufe vor“ vom 23. März 2022 berichtet.

Unterstützung erfuhr und erfährt der belgische Premierminister unter anderem von seinen Kollegen in Athen, Madrid und Paris. Die Argumentation von De Croo ist bemerkenswert, denn er ist von Haus aus Unternehmer und er gehört der flämischen liberalen Partei Open VLD an. In der Bundesrepublik würde er wohl als neoliberal angesehen. In dem ersten der oben verlinkten Artikel auf Flanderninfo wird De Croo mit dem Satz zitiert: „Ich glaube an den freien Markt, aber er muss im Dienste der Gesellschaft stehen“. Mit dieser Überzeugung begründet und rechtfertig er als liberaler Politiker preisregulierende Markteingriffe.

Wenn schon ein liberaler Unternehmer als Premierminister seines Landes – mit Unterstützung etlicher Kollegen aus anderen EU-Mitgliedsstaaten – für ein Einfrieren von Preisen eintritt und seine Argumente durchaus überzeugen können, dann stellt sich selbstverständlich die Frage, weshalb es solche Maßnahmen nicht schon längst gibt?

Die Antwort ist so einfach wie peinlich ernüchternd: Die sozialdemokratisch geführte Bundesregierung in Berlin hat sich auf die Argumente des liberalen belgischen Premierministers Alexander De Croo (Open VLD) und seiner Kollegen nicht eingelassen. Rückendeckung bekommt der sozialdemokratische Bundeskanzler Olaf Scholz von seinem niederländischen Kollegen Mark Rutte von der konservativ-liberalen VVD (Volkspartij voor Vrijheid en Democratie). Auch Eric Bonse bestätig in seinem oben verlinkten Artikel diese deutsche Verweigerungshaltung gegenüber einer sozial und wirtschaftlich sinnvollen und verantwortungsvollen politischen Antwort auf die Gaspreisentwicklungen.

Es gibt offensichtlich einen fundamental unterschiedlichen Ansatz zum politischen Umgang mit diesen Entwicklungen zwischen der Berliner Bundesregierung auf der einen und der EU und etlichen Regierungen aus EU-Mitgliedsländern auf der anderen Seite.

Der Unterschied zwischen den beiden Ansätzen liegt darin, dass die EU auf eine Entlastung der Verbraucher setzt, die in Folge auch den Unternehmen zugute kommt. Die Preissteigerungen sind schließlich sowohl sozial als auch wirtschaftlich schädlich.

Die Bundesregierung hingegen agiert weitgehend konzept- und ziellos. Das einzige, was erkennbar ist, ist, dass die Bundesregierung einseitig auf eine Entlastung der Energieunternehmen auf Kosten der Verbraucher setzt. Die Verbraucher und Verbraucherinnen sowie die Ärmsten der Armen zahlen mit anderen Worten für die Einhaltung und quasireligiöse Verehrung der „schwarzen Null“, die für SPD, FDP und CDU ist, was im Alten Testament das goldene Kalbs war (die CDU als christlich ausgerichtete Partei sollte sich vielleicht dessen erinnern, dass die Anbetung des goldenen Kalbs im Alten Testament als Sünde und Götzendienst scharf verteilt und mit harten Sanktionen geahndet wurde). Auf weitere mögliche Gründe kommen wir weiter unten noch zu sprechen.

Dies ergibt sich aus dem SPIEGEL-Artikel „Gasumlage: EU lehnt Mehrwertsteuer-Ausnahme ab – schlägt aber Alternativen vor“ vom 17. August 2022. Die EU-Kommission lehnt es laut diesem Artikel aus steuerrechtlichen Gründen ab, dass die Bundesregierung die Umsatzsteuer auf die geplante Gasumlage komplett streicht. Statt dessen schlägt die EU-Kommission mehrere Alternativen vor, die zu einer mehr oder weniger umfassenden Entlastung der Verbraucher führt.

Der liberale Ansatz aus Belgien und anderen EU-Ländern hat gegenüber dem deutschen Ansatz noch einen weiteren Vorteil. Er zielt darauf, sowohl Verbraucher als auch öffentliche Kassen zu entlasten, indem die Marktverzerrungen durch regulative Eingriffe von vornherein vermieden würden.

Doch nach wie vor sieht es nicht so aus, dass die Bundesregierung bereit ist, sich auf einen sozial und wirtschaftlich sinnvollen Ausweg aus der durch Spekulationen getriebenen Preisexplosion einzulassen.

Mit dem deutschen Ansatz, die spekulationsgetriebenen Gaspreise ungebremst steigen zu lassen und durch eine Gasumlage noch weiter nach oben zu treiben, sollen preisliche Anreize zur Senkung des Gasverbrauchs erzielt werden. “Eine Deckelung der Preise wäre bei einem knappen Gut ein Signal: Energie ist nicht wertvoll, haut raus, was ihr wollt”, so zitiert die Tagesschau am 6. Juli 2022 den grünen Wirtschaftsminister Robert Habeck.

Klimaschutz wird hier als Kollateralnutzen kriegsinitiierter Spekulationen betrieben. Dabei zeigt das Beispiel der Bundesrepublik seit Jahren, dass dieser Markt orientierte Ansatz beim Klimaschutz nicht funktioniert. Effektiv ist Klimaschutz dort, wo er politisch gestaltet wird. Politisch gestaltet heißt, das die Umstellung der Energieproduktion von fossilen Energieträgern (Kohle, Öl, Gas) auf nicht fossile gezielt durch regulative Maßnahmen vorangetrieben wird. So baut die belgische Regierung seit längerem gezielt die Stromproduktion durch Windkraft aus (siehe Bericht „Nach 2 Jahren Bauzeit ist der Offshore-Windpark „SeaMade“ betriebsbereit“ auf Flanderninfo vom 21.10.2021).

Die flämische Regionalregierung hat in diesem Sommer beschlossen, dass ab 2025 in Neubauten keine Gasanschlüsse mehr installiert werden dürfen („Offiziell: Ab 2025 werden Gasanschlüsse bei Neubauten in Flandern verboten “, Flanderninfo vom 16.06.2022).

Im Zuger der Verkehrs- und Energiewende hat die Region Brüssel in diesen Tagen den gesamten Innenstadtbereich für den Durchgangsverkehr gesperrt. („Neuer Verkehrsplan für Brüssel: Kein Durchgangsverkehr mehr im Stadtzentrum“, Flanderninfo vom 16.08.2022). Gleichzeitig investiert die Region jährlich rund eine Milliarde Euro in den Ausbau und den Erhalt des ÖPNV. Jahrestickets kosten für junge Menschen bis 24 Jahre zwölf Euro, für Senioren (ab 65) sechzig Euro. Die flämische Nahverkehrsgesellschaft De Lijn baut das Angebot auch im ländlichen Raum aus, wie Flanderninfo am 11. August 2022 berichtete („Ab Januar 2023 wird es zu Anpassungen im öffentlichen Nahverkehr in Flandern kommen“).

Laut dem belgischen Mobilitätsbarometer wirken diese Maßnahmen mittlerweile. „Die Zahl der in der ersten Hälfte des Jahres 2022 in Belgien mit dem Auto zurückgelegten Kilometer ist im Vergleich zum selben Zeitraum im Jahr 2019 um 23 % gesunken, wie aus dem Mobilitätsbarometer des Instituts für Verkehrssicherheit Vias hervorgeht“, heißt es in einem Bericht auf dem Portal bx1 vom 28. Juli 2022.

Dennoch entlastet die belgische Regierung grundsätzlich alle Haushalte durch eine Absenkung der Umsatzsteuer auf Gas und Strom von 21 % auf 6 %, durch eine Einmalzahlung von etwas mehr als 200 Euro und speziellen Sozialtarifen für Haushalte mit sehr niedrigem Einkommen (Vgl. Flanderninfo vom 19.06.2022 „Belgien verlängert die MWS-Senkung und andere Energiemaßnahmen bis zum Jahresende“) – und zwar ohne fürchten zu müssen, dass diese sozialen Abfederungen die Wirkung der Verkehrs- und Energiewende unterlaufen, da sie als vom aktuellen Marktgeschehen unabhängige Maßnahmen installiert werden.

In Spanien hat die Regierung mittlerweile eine Übergewinnsteuer eingeführt, wie u.a. die Frankfurter Rundschau am 28. Juli 2022 berichtete. Damit wird nicht nur die spekulationsgetriebene Preisentwicklung ausgebremst, sondern gleichzeitig werden die Bürgerinnen und Bürger finanziell entlastet: „Der ÖPNV wird im Nah- und Regionalverkehr kostenlos sein. Außerdem werden Haushalte entlastet. Es wird eine Obergrenze für Mietsteigerungen geben, die Mehrwertsteuer für Strom sinkt von zehn auf fünf Prozent, Niedrigrenten werden um 15 Prozent angehoben. Auch der Mindestlohn steigt.“

Insgesamt neun EU-Mitgliedsländer haben bisher eine Preisobergrenze für Gas für Verbraucher eingeführt: Frankreich, Spanien, Portugal, Belgien, Estland, Griechenland, Ungarn, Kroatien und Rumänien. Das berichtete das Frechere Netzwerk Deutschland (RND) in einem Artikel vom 23. Juli 2022 („Gegen hohe Energiepreise: In diesen neun EU-Ländern gibt es schon einen Preisdeckel“). Damit werden die Gaspreise deutlich gedeckelt. Der RND-Artikel enthält Details zu Umfang und Art der Deckelung. Zudem verweist der Artikel darauf, dass die Strompreise in der Bundesrepublik deutlich günstiger wären, hätten die vorherigen Bundesregierungen den Ausbau der erneuerbaren Stromerzeugung gefördert statt ausgebremst.

Die hier beschriebenen Preisdeckel gehen allerdings zulasten der öffentlichen Haushalte. Eine generelle EU weite Preisdeckelung, wie Alexander De Croo sie vorgeschlagen hat, setzt an den Börsen – also am Ursprungsort der spekulativen Preissteigerungen – an und hätte den Vorteil, dass auch die öffentlichen Haushalte geschont bleiben. Immerhin gleicht Spanien mit der Einführung einer Übergewinnsteuer die Belastungen der öffentlichen Haushalte wieder aus.

An den oben exemplarisch genannten Beispielen zeigt sich auch, dass es möglich ist, Verbraucherinnen zu entlasten und gleichzeitig eine wirksame Klimapolitik voranzubringen, in dem der Ausstieg aus der fossilen Energiegewinnung politisch vorangetrieben wird, was ebenfalls zu einer Preissenkung führt, da eine klimafreundliche Energieproduktion mittlerweile preisgünstiger ist als die fossile. Gleichzeitig wird mit diesen Maßnahmen die Inflation abgebremst. Die genannten Beispiele sprechen also dafür, dass der deutsche am Markt orientierte und an der schwarzen Null ausgerichtete Weg zum Klimaschutz ein Irrweg ist. Klimapolitisch auf Kollatralnutzeneffekte des russischen Krieges gegen die Ukraine zu setzen ist weder nachthaltig noch überzeugend.

Noch fragwürdiger wird der deutsche Ansatz, wenn man sich vergegenwärtigt, dass die am 8. August 2022 beschlossene Gaspreisanpassungsverordnung (so die offizielle Bezeichnung), die für den Zeitraum vom 1. Oktober 2022 bis zum 1. April 2024 gilt, eigentlich nur auf das Energie-Unternehmen Uniper zugeschnitten ist, das als einziges unter den großen in der Bundesrepublik tätigen Energieunternehmen in eine bedrohliche wirtschaftliche Lage geraten ist, da es sich wie kein anderes Unternehmen von russischen Gaslieferungen abhängig gemacht hat. Gleichwohl steht allen deutschen Energie-Unternehmen der Zugriff auf die Gasumlage zu, obgleich die meisten infolge der spekulativen Preissteigerungen bemerkenswerte Gewinnsteigerungen einfahren statt Verluste, wie die taz in dem Artikel „Umlage auch für profitable Konzerne“ vom 19. August 2022 berichtet. Das lässt sich Verbrauchern einfach nicht mehr vermitteln.

Am 22. August 2022 berichtete Der Spiegel, dass 12 Unternehmen Ansprüche auf eine Auszahlung aus der Gaspreisanpassungsverordnung, die ein Finanzvolumen von 34 Milliarden Euro regelt, angemeldet haben. Das privatwirtschaftliche Unternehmen Trading Hub Europe GmbH (siehe auch den entsprechenden Wikipedia-Artikel) mit Sitz in Ratingen – der Marktgebietsverantwortliche im deutschen Gasmarkt – nimmt die Anträge entgegen, prüft und genehmigt sie und zahlt die Gasumlage an die berechtigten Gasimpoteure aus. Letzter Abgabetermin für Anträge war der 12. August 2022.* Laut der von Trading Hub Europe veröffentlichten „FAQ Gasbeschaffungsumlage und Gasspeicherumlage“ haben folgende 12 Unternehmen Ansprüche angemeldet:

– AXPO Solutions AG,
– DXT Commodities S.A.,
– EWE Trading GmbH,
– ENET Energy SA,
– Gunvor Group Ltd.,
– RWE Supply & Trading GmbH,
– OMV Gas Marketing & Trading Deutschland GmbH,
– SEFE Marketing & Trading Ltd,
– Uniper SE,
– Vitol SA,
– VNG Handel & Vertrieb GmbH,
– WIEH GmbH.

Die Mehrzahl der Unternehmen ist nicht auf eine Unterstützung angewiesen. Laut Spiegel hat RWE mitgeteilt, nur vorsichtshalber Ansprüche angemeldet zu haben. Nach aktuellem Stand wolle man jedoch keine Zuschüsse abrufen.

Die taz berichtet am 22. August 2022 („Kritik an Gasimporteuren: Gasumlage trotz Milliarden­­gewinn“), dass der österreichische Energieversorger OMV im ersten Halbjahr 2022 einen Gewinn vor Steuern von ca. 5,6 Milliarden Euro ausweist, also zweieinhalbmal so viel wie im gleichen Zeitraum des Vorjahres.

Weiter heißt es in dem taz-Artikel:

Geld aus der Umlage erhält auch der Energiekonzern Gunvor, der bis zu den Russland-Sanktionen aufgrund der Krim-Annexion zum Teil dem Putin-Vertrauten Gennadi Timtschenko gehörte. Dieser hat seinen Gewinn im ersten Halbjahr 2022 auf mehr als 2 Milliarden Dollar verdreifacht.

Nach Information des oben verlinkten Spiegel-Artikels haben die beiden Unternehmen Axpo und Gunvor ihren Umsatz im ersten Halbjahr 2022 um 100 Prozent beziehungsweise um 200 Prozent gesteigert. Dass Unternehmen mit solchen Umsatzsteigerungen mittels einer staatlichen Verordnung mit direkt von den Verbrauchern erhobenen Preisaufschlägen subventioniert werden, lässt sich einfach nicht mehr vermitteln. Wenn das Gerede des Bundesfinanzministers Christian Lindners von „Gratismentalität“ einen Sinn haben soll, dann an dieser Stelle. Weil Uniper sich in eine erkennbare Krise manövriert hat, werden nun auch noch 11 weitere Gasimporteure von der Bundesregierung mit Geldgeschenken in Milliardenhöhe bedacht. Um die schwarze Null nicht zu gefährden, aber nicht aus dem Bundeshaushalt, sondern direkt von den Verbrauchern.

Darüberhinaus betonte der FOCUS in seinem Artikel „Energiekonzern Uniper macht mehr als 12 Milliarden Euro Verlust“ vom 17. August, das Uniper als größter deutscher Gasimporteur eine zentrale Rolle in der Gaskrise spielt. Hauptgaslieferant für Uniper ist Russland. Zudem ist Uniper an Nord Stream 2 beteiligt. Laut FOCUS schlägt die Reduktion der russischen Gaslieferungen mit 6,5 Milliarden Euro bei dem Verlust von 12 Milliarden Euro zu Buche und die Abschreiben im Rahmen der Beteiligung an Nord Stream 2 mit weiteren 2,7 Milliarden Euro.

Auf Twitter wurde am 20. August 2022 von Daniel Schwerd darauf hingewiesen, dass der FDP-Politiker und frühere Minister Phillip Rösler im Aufsichtsrat des finnischen Versorgungsunternehmen Fortum sitz, dass mit knapp 78 Prozent im Besitz einer klaren Mehrheit der Aktien von Uniper ist. Die gemeinsame Parteimitgliedschaft in der FDP von Rösler und Lindner beweist zwar nicht, dass es im Blick auf die Gasumlage Absprachen zwischen dem Aufsichtsratsmitglied Rösler und dem Finanzminister Lindner gegeben hat. Sollte sich herausstellen, dass es Absprachen zwischen den beiden im Blick auf die Gasumlage und die prekäre Lage von Uniper gegeben hat, wäre das angesichts der bekannt gewordenen Lobbykontakte von Finanzminister Lindner zur Autoindustrie allerdings alles andere als überraschend.

Es ist sicher legitim, im Sinne der Energieversorgungssicherheit und im Sinne der Absicherung von Arbeitsplätzen darüber nachzudenken, ein Unternehmen wie Uniper nicht einfach Pleite gehen zu lassen, auch wenn das in der Logik der Übernahme von unternehmerischer Verantwortung für eingegangene Geschäftsrisiken läge. Ganz und gar inakzeptabel ist allerdings eine Gasumlage, die zum einen von allen Verbrauchern – eben auch den einkommensarmen – zu finanzieren ist, und die zum anderen auch den in der Mehrzahl profitablen Energieunternehmen offenste, die aufgrund gestiegener Gewinne infolge der Preisspekulationen eigentlich mit einer Übergewinnsteuer zu belegen wären.

Unter welchen Bedingungen Uniper Gelder aus der Gasumlage bekommt, ist derzeit unklar. Die Grünen-Fraktionschefin im Bundestag, Katharina Dröge, hat vorgeschlagen, dass die Vorstände auf einen Teil ihres Gehaltes verzichten und derzeit keine Dividenden ausgezahlt werden sollten, berichtete das Redaktionsnetzwerk Deutschland am 17. Juli 2022. Laut dem gesetzlich vorgeschriebenen und zu veröffentlichenden Vergütungsbericht von Uniper zahlte das Unternehmen 2021 dem Vorstandsvorsitzenden einen Jahresgehalt in Höhe von 3,1 Millionen Euro und den ordentlichen Mitgliedern des Vorstandes jeweils 1,75 Millionen Euro.

Letzlich bedeutet die Gasumlage, dass erneut 34 Milliarden Euro in die Fortschreibung fossiler Energiegewinne investiert wird. 34 Milliarden Euro, die dringend gebraucht werden für eine wirksame Klimaschutzpolitik, die eine weitere Erwämung der Erde abbremst.

Nur ein heißer, protesterfüllter Herbst wird die Bundesregierung wohl noch zur Einsicht und zum Einlenken bringen können. Ob sie dann die fachliche Kompetenz aufbringt, endlich eine Strategie zur Energie- und Verkehrswende und zu einer wirksamen Klimapolitik zu entwickeln, bleibt dennoch eine offene Frage.

Nachtrag 1:

Tilo Jung hat am 22.08.2022 über Twitter folgende Information verbreitet:

#Gasumlage: Habecks Wirtschaftsministerium bestätigt mir, dass “eine drohende Insolvenz” kein Kriterium für Unternehmen ist, die sich für die Umlage registrieren. Konzerne, die immer noch fette Profite machen, können mitmachen und ihre Gewinne auf Kosten der Bürger absichern #BPK

In „Die Lage am Morgen“ vom 23. August 2022 zitierte Der Spiegel mit Bezugnahme auf die Frage von Tilo Jung in der Bundespressekonferenz zum Thema Gasumlage eine Sprecherin des Bundeswirtschaftsministeriums mit den Worten: „Ein Unternehmen braucht eine gewisse Gewinnspanne.“ (Die Lage am Morgen/Oben ohne im Regierungsflieger/Wenn die Umlage zum Bonus wird)

Mit anderen Worten: Es geht nicht um eine Rettung insolventer Gasimportunternehmen mit dem Ziel, die Energieversorgung sicherzustellen. Es geht vielmehr um eine Stabilisierung von Unternehmensgewinnen mittels einer von der Bundesregierung verfügten Preiserhöhung auf Gas, die zugleich über eine Senkung der Umsatzsteuer für die Verbraucher kompensiert wird. Die renommierte Berliner Kanzlei Raue hält, wie der Der Spiegel am 22. August 2022 („Kanzlei nennt Verordnung verfassungswidrig: Unternehmen prüfen Klage gegen Gasumlage“) berichtete, die Gasumlage für verfassungswidrig, weil sie die Verbraucher unverhältnismäßig belastet und die Preise zusätzlich nach oben treibt. Zudem sieht die Kanzlei in der Umsatzsteuersenkung, die die Preissteigerungen für die Verbraucher kompensieren soll, eine nach Europarecht unerlaubte Beihilfe für die profitierenden Unternehmen über Umwege. Ebenso hält die Kanzlei die aus dem Bundeshaushalt bereitgestellte Zwischenfinanzierung für das privatwirtschaftliche Unternehmen Trading Hub Europe (siehe oben), damit es Auszahlungen an die Gasimporteure, die einen Antrag auf eine Unterstützung aus der Gasumlage gestellt haben, vorstrecken kann, für für unvereinbar mit dem EU-Beihilferecht.

Nachtrag 2:

Am 25. August 2022 berichtete die deutschsprachige Ausgabe von Euractiv, dass Italiens Premierminister Mario Draghi einen EU-Preisdeckel auf russisches Gas fordert. Euractiv zitiert Draghi mit den Worten:

„Einige Länder lehnen diese Idee weiterhin ab, weil sie befürchten, dass Moskau die Lieferungen unterbrechen könnte“, fügte Draghi hinzu, der nach den nationalen Wahlen im nächsten Monat sein Amt niederlegen wird.

„Aber die vielen Lieferunterbrechungen für russisches Gas in diesem Sommer haben die Grenzen dieser Position deutlich gemacht“, sagte er.

Diese Aussage lässt sich als Kritik vor allem an der Berliner Bundesregierung lesen. Ferner fordert Draghi laut Euractiv auch eine “Entkoppelung des Gaspreises vom allgemeinen Strompreis”.

Nachtrag 3

Am 25. August 2022 veröffentlichte „Makroskop“ unter dem Titel „Vorsicht, deutsche Geisterfahrer!“ eine Analyse von Eric Bonse über die destruktive deutsche Energiepolitik auf EU-Ebene. Bonse verweist darauf, dass die Debatten über eine Reform der EU-Energiepolitik lange vor dem Beginn des russischen Krieges gegen die Ukraine im Hebst 2021 ihren Anfang nahmen. Schon damals stiegen die Gas- und Strompreise rasant an. Und etliche EU-Mitgliedsländer forderten eine EU-Maßnahmen zu Eindämmung dieser Preissteigerungen und der dadurch befeuerten Inflation. Doch die Berliner Bundesregierung hat alle Bemühungen um angemessenen Regulierungen ausgebremst und setzt in radikaler neoliberaler Tradition auf eine Selbstregulierung der Märkte und auf hohe Preise zur Reduktion der CO2-Emissionen. Immerhin haben bisher 9 EU-Mitgliedsländer trotz der deutschen Blockade- und Verweigerungshaltung Obergrenzen für Gas- und/oder Strompreise eingeführt.

Bonse dazu im Wortlaut:

Kaum erwähnt wurde jedoch der Sonderweg, den Deutschland in der Energiekrise geht. Die Gasumlage ist nur das jüngste Beispiel für diesen gefährlichen Alleingang – das größte EU-Land ist zum Geisterfahrer der europäischen Energiepolitik geworden. Deutschland treibt mit seiner Umlage nicht nur den Gaspreis in die Höhe, was die Inflation anheizt und der Politik der Europäischen Zentralbank und der EU-Kommission zuwider läuft: Beide wollen die Preise drücken.

Berlin blockiert auch Reformen am europäischen Energiemarkt und verhindert den längst überfälligen Preisdeckel aus Gas und Strom – und das seit Monaten. Nicht einmal der Regierungswechsel hat zu einer Kurskorrektur geführt.

Alles begann im Herbst 2021, viele Monate vor dem Ukraine-Krieg. Schon damals schoss der Gaspreis, getrieben von Spekulation auf dem wichtigsten europäischen Handelsplatz TTF, durch die Decke. Schon damals wurde der Ruf nach Krisenhilfen laut. Die Preiskrise überschattete den EU-Gipfel im Oktober letzten Jahres, Spanien und Griechenland forderten bessere Regulierung und staatliche Hilfen. Doch Deutschland sträubte sich gegen Markteingriffe und verhinderte eine Reform.

Seither vergeht kein EU-Gipfel, ohne dass die Gaskrise für hitzige Diskussionen sorgte. Im März legte der griechische Regierungschef Kyriakos Mitsotakis einen Sechs-Punkte-Plan vor. Seine Hauptforderung: Ein Preisdeckel beim Gas. Doch wieder war Deutschland dagegen. Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) setzte die marktliberale Politik seiner Amtsvorgängerin Angela Merkel (CDU) nahtlos fort und wehrte alle Vorstöße aus Athen, Madrid oder Paris ab.


* Vgl.: Gaspreisanpassungsverordnung vom 8. August 2022 (BAnz AT 08.08.2022 V1), § 2, (8), 1.

Titelbild: Gas works by Punchup CC BY-NC-ND 2.0 via FlickR

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