Ein Jahr lang ist nahezu ausschließlich über die möglichen wirtschaftlichen Folgen Brexit für Großbritannien einerseits und die EU andererseits öffentlich spekuliert worden. Oft ohne großartige in Rechnung zu stellen, dass das Ergebnis des Referendums vom 23. Juni 2016 zugunsten eines Ausstiegs aus der Europäischen Union noch nicht den tatsächlichen Vollzug des Brexits darstellt.
Infolge des Wahldesaster von Theresa May vom 8. Juni 2017 und der darauf notwendig gewordenen Suche nach einem Mehrheitsbeschaffer der Tories im britischen Parlament – nur die nordirische DUP hat sich dazu breitschlagen lassen und am 26. Juni 2017 ein Abkommen zur Unterstützung einer Tory-Minderheitsregierung unterzeichnet – ist langsam ins öffentliche Bewusstsein geraten, dass der Brexit nicht nur ein wirtschaftliches Problem darstellt. Der Brexit hat auch das Potential, den Friedensprozess in Nordirland zu gefährden (vergleiche dazu den Artikel „Nordirland und der Brexit – Großbritanniens Suche nach einem Weg“ von Silke Jäger auf Europa.blog).
Einen Tag nach der 90 km langen Menschenkette mit rund 50.000 Bürgerinnen und Bürgern durch Belgien, Deutschland und die Niederlande gegen den Weiterbetrieb der belgischen Atommeiler Tihange und Doel hat nun der britische Journalist Sam J. Morgan am 26. Juni in einem Beitrag für EurActiv.com darauf hingewiesen, dass der Brexit ebenfalls auf den Atomenergiesektor Auswirkungen hat.
Nichts zeige deutlicher als diese Menschenkette, so Sam Morgan, wie emotionsgeladen das Thema Atomenergie und wie eigenwillig das Verhältnis Europas zur Atomenergie sei. Die nach wie vor bestehende Erinnerung an die Katastrophen von Tschernobyl und Fukoshima provoziere kontroverse Debatten, so auch um die Erweiterung des AKW Hinkley Point in Großbritannien.
Der Brexit, so Morgan weiter, umfasse ausdrücklich auch den Ausstieg aus dem Euratom-Vertrag. Offenbar, mutmaßt Morgan, ist sich die britische Regierung der Brisanz dieser Entscheidung nicht bewusst. Denn Euratom reguliere alle Aspekte der nuklearen Energiegewinnung, insbesondere die Sicherheitsaspekte. Zudem betreibe Euratom ein Forschungsprojekt einem Projekt, das sauberer Energie in großem Umfang bereitstellen kann.
Als Grund für den Ausstieg aus Euratom vermutet Morgan, dass die britischen Konservativen sich gänzlich dem Zugriff des Europäische Gerichtshof (EuGH) entziehen wollen. Denn grundsätzlich ist der EuGH auf für Euratom zuständig. Gleichwohl hält sich der EuGH im Blick auf Euratom sehr zurück, da der Euratom-Vertrag auch von Nicht-EU-Ländern unterzeichnet wurde.
Hier geht es zum Artikel von Sam J. Morgen auf EurActiv.com.
Welche praktischen Konsequenzen der Ausstieg Großbritanniens aus Euratom haben wir, lässt sich derzeit nicht genau sagen. Deutlich wird an diesem Punkt erneut, dass der Brexit weitaus komplexer und brisanter ist, als die bisher im Vordergrund stehende Debatte über die ökonomischen Konsequenzen des Brexits erkennen lässt. Und erneut zeigt sich, dass die britische Regierung eine sehr begrenzte Vorstellung von den tatsächlichen Dimension des Brexit hat.
Titelfoto: Greenpeace took radioactive waste to the European Parliament |greensefa CC BY-NC-SA 2.0
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