Nach zwanzigjähriger Verhandlungszeit einigten sich am 28. Juni 2019 die EU und die Mercosur-Staaten Argentinien, Brasilien, Paraguay und Uruguay auf ein Freihandelsabkommen. Nun muss das Abkommen noch vom Europäischen Rat, dem Europäischen Parlament und den Parlamenten der Mitgliedstaaten angenommen werden, damit es in Kraft treten kann.

Kritik an dem Abkommen gibt es bisher vor allem von französischen Bauern, die sich durch Fleischimporte aus den Mercosur-Ländern in ihrer Existenz bedroht sehen.

Aber auch aus Verbrauchersicht ist das Abkommen risikoreich. Das liegt derzeit vor allem an der brasilianischen Regierung, die unter dem aktuellen Präsidenten Jair Bolsonaro in großem Umfang die Nutzung von Pestiziden erlaubt. Vor wenigen Tagen wurden 52 Pestizide zum Einsatz genehmigt, von denen 32 in der EU verboten sind. Insgesamt wurden seit dem Amtsantritt von Bolsonaro 302 Pestizide freigegeben. In der Sitzung des Ausschusses für internationalen Handel (INTA) des Europäischen Parlaments vom 23. Juli 2019 stand diese Thematik bereits auf der Tagesordnung. Die Video-Aufzeichnung der Sitzung kann hier aufgerufen werden (deutschsprachige Übersetzung). Die linke Fraktion im Europäischen Parlament (GUE/NGL) wird wird unter Federführung von MdEP Helmut Scholz (Die Linke) am 12. Dezember 2019 von 09:00 Uhr bis 13:00 Uhr eine Konferenz zum Mercosur-Freihandelsabkommen durchführen, auf der auch das Problem der Pestizide Thema sein wird.

In dem folgenden Beitrag erläutert Wolfgang Kreissl-Dörfler diese Politik des rechtsextremen brasilianischen Präsidenten Jair Messias Bolsonaro.

Beitrag von Wolfgang Kreissl-Dörfler

Seit seinem Amtsantritt hat Bolsonaro 302 Pestizide für den Einsatz in der Landwirtschaft freigegeben. Es ist zu befürchten, dass Brasilien sich langsam selbst vergiftet und die Menschen in anderen Ländern dazu. Vor einigen Tagen wurden 52 weitere Pestizide freigegeben. Von denen sind schon alleine 32 in der Europäischem Union verboten.

Diese Freigaben sind unter anderem dem Druck der sogenannten Ruralistas im Nationalkongress zu verdanken. Ruralistas bilden die Fraktion der Großgrundbesitzer. Deren Plantagen umfassen oft eine Fläche von weit über 10.000 ha. Fazendas mit 30.000 ha sind dabei keine Seltenheit. Dazu ist anzumerken, dass Brasilen ca. 8,2 Millionen Quadratkilometer groß ist, also größer als Europa.

Diese Pestizide werden auch zum Einsatz kommen. Davon ist ohne jeden Zweifel auszugehen. Immer wieder werden ganze Schiffsladungen von landwirtschaftlichen Erzeugnissen aus Brasilien von den zuständigen Behörden der EU wegen Überschreitung der zulässigen Belastungen in den Häfen Europas zurückgeschickt. Zuletzt waren es Mangos aus Brasilien. Durch den Einsatz der Pestizide sollen die Erträge weiter gesteigert werden. Koste es was es wolle.

Dazu kommt noch die verstärkte Abholzung des Regenwaldes im Amazonasgebiet. Allein 1000 (!) Quadratkilometer wurden in letzter Zeit bereits Opfer der Gier der Großgrundbesitzer nach mehr Land. Zum Großteil wird auf den gerodeten Gebieten Sojaanbau betrieben und die Rinderzucht weiter ausgebaut.

Wenn die Großgrundbesitzer ihre riesigen Flächen mit Pestiziden spritzen, werden dazu Flugzeuge eingesetzt. Die dort wohnenden Landarbeiter und deren Familien werden gleich mit gespritzt. Das Trinkwasser wird großflächig vergiftet. Da viele dieser Landarbeiter und deren Familien oftmals zu 100 % von den Landbesitzern abhängig sind, können sie sich nur begrenzt gegen diese schleichende Vergiftung wehren.

Dennoch regt sich Widerstand dagegen im Land, gerade in den Bundesländern mit einer progressiven Regierung, vor allem im Nordosten Brasiliens. Greenpeace International und verschiedene Nichtregierungsorganisationen (NGOs) leisten einen sehr wichtigen Beitrag dazu, den Widerstand gegen diese Politik zu stärken und wichtige Informationen zu verbreiten.

Das hindert jedoch diesen Präsidenten nicht daran, das Land weiter zu spalten und es ins Chaos zu führen. Er erklärte am 26. Juli 2019 in einem Interview vor der internationalen Presse, dass er ja von Gott auserwählt wurde, und dass er hoffe, dass es in Brasilien nur noch Präsidenten seines Schlages geben werde.

Überdies merkte er zu der internationalen Kritik an der großflächigen Zerstörung des Regenwaldes an, dass das Amazonasgebiet Brasilien alleine gehört und er damit machen könne, was er wolle. Die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel hat das vollkommen zu Recht kritisiert. Nur wird es die brasilianische Bevölkerung sein, die unter diesem Wahnwitz zu leiden haben wird.

Die brasilianische Botschaft in Wien hat nun eine Information herausgegeben, dass dies alles nicht stimme und die Großgrundbesitzer sehr bewusst und kontrolliert mit den Pestiziden umgehen und dies auch kontrolliert werde (klickt doch mal die Seite der brasilianischen Botschaft in Wien, Embaixada do Brasil em Vienna, dazu an). Doch das ist ein schlechter Scherz.

Bolsonaro hat die Botschaften angewiesen, seine Politik angemessen zu verkaufen. Seinen Sohn Flavio, der wegen Bestechung und anderer Untaten bezichtigt wird, hat er zum Botschafter in den USA ernannt. Das passt! Hier in Brasilien ist es Gang und Gäbe, die Kontrolleure zu bestechen und dafür zu sorgen, dass Kontrollen erst gar nicht statt finden.

Der Präsident hebelt derzeit ganz nebenbei die zuständigen Organe aus. So hat er die unabhängige Umweltbehörde IBAMA gerade dem Landwirtschaftsministerium unterstellt. Das Organ, das die Abholzung des Regenwaldes dokumentiert, wird diffamiert. Dem Direktor wird vorgeworfen, einer missliebigen NGO anzugehören. So soll durch „Fake News“ der Geist der Menschen vergiftet werden.

Zusätzlich soll eine weitere große Straße durch den Amazonaswald gebaut werden. Ein sehr wichtiger Punkt ist dabei nicht zu vergessen: Durch die weitere Erschließung des Amazonasgebietes wird der Lebensraum der indigenen Bevölkerung stark beschnitten. Derzeit haben ca. 10.000 illegale Goldsucher die Gebiete der indigenen Bevölkerung gestürmt. Bolsonaro ist allerdings der Meinung , dass diese Unzivilisierten ehe viel zu viel Land besitzen und keinerlei Wert für ihn darstellen oder von Bedeutung wären. Es ist auch eine Aufgabe der EU, die Urbevölkerung Brasiliens zu beschützen und vor ihrer Ausrottung zu bewahren. Dies gilt nicht nur für die indigene Bevölkerung im Amazonasgebiet.

Der Präsident gehört übrigens einer evangelikalen, sehr reichen Sekte an, die weder von adäquater Erziehung noch von Bildung etwas hält. Frauen an den Herd und keine Kinder der „Unterprivilegierten“ an Universitäten und anderen Bildungseinrichtungen, so das Programm dieser Sekte. Die Schulen müssen laut Bolsonaro entpolitisiert werden. Nur noch Mathe und Physik sollten nach ihm unterrichtet werden. Auch das muss erwähnt werden.

Was erwarte ich von der EU und den Mitgliedsstaaten zu dieser Problematik?

  • Der MERCOSUR-Vertrag darf unter keinen Umständen zu diesen Bedingungen unterschrieben werden.
  • Die Bevölkerung, die diese Politik stoppen will, muss nach allen Kräften in ihrem Widerstand unterstützt werden. Die indigene Bevölkerung in der Amazonasregion und in anderen Teilen Brasiliens gilt es, vor Vertreibung, Ermordung und Ausrottung zu schützen.
  • Die Sojaeinfuhr aus Brasilien ist umgehend zu stoppen.
  • Da es in Argentinien nicht viel besser aussieht, hat die EU auch da zu handeln.
  • Die EU-Agrarpolitik ist gerade auf Grund ihrer eigenen Politik zu einer nachhaltigen Landwirtschaft zu verpflichten.
  • Die Landwirte wie die Bevölkerung in der EU müssen darauf drängen, dass der Vertrag nicht unterzeichnet wird (die Macht der Konsumenten).
  • Eine schwedische Supermarktkette hat landwirtschaftliche Produkte aus Brasilien aus ihren Regalen verbannt. Das sollte Nachahmer finden.
  • Die Kontrollen in den Häfen sind zu verstärken und die Häfen sind zu verpflichten, alle Schlupflöcher zu schließen.
  • Da die einzelnen Mitgliedstaaten der EU, sowie die nationalen Parlamente und das EU-Parlament diesem Vertrag zustimmen müssen, gilt es, den Druck auf diese Institutionen seitens der Zivilgesellschaft zu erhöhen.

Sollte all dies nichts fruchten, können wir unsere landwirtschaftlichen Strukturen endgültig begraben, die ja schon von der EU und dem Deutschen Bauernverband ausgehöhlt werden, und das seit Jahrzehnten.

Titelfoto: Global 2000 CC BY-ND 2.0

Autoreninfo


Wolfgang Kreissl-Dörfler ist gelernter Landwirt und Diplom-Sozialpädagoge. Von 1994 bis 2014 war er Mitglied des Europäischen Parlaments. Heute lebt er in Brasilien und Österreich.

Links zum Beitrag

Europäische Kommission: The EU-Mercosur negotiations for a Trade Agreement (EN)

Freihandel mit Mercosur: Industrie euphorisch, Bauern wütend. Lange ist für das EU-Freihandelsabkommen mit den südamerikanischen Mercosur-Staaten verhandelt worden. Nun gibt es eine Einigung. Die führt in Deutschland zu Wut oder Begeisterung – je nachdem, wer gefragt wird. | Tagesschau; 29.06.2019

MERCOSUR-EU-PAKT | Forscherin zu Freihandel: “Es gibt einen Vergiftungskreislauf.” Im Zuge des Freihandelsabkommens der EU mit den Mercosur-Staaten warnt Larissa Mies Bombardi vor dem sorglosen Umgang Brasiliens mit Pestiziden. Intierview von Sandra Weiss | Der Standard, 01.07.2019

Steht die Kritik dem Mercosur-Abkommen im Weg? Die EU-Kommission unterzeichnete vor knapp einem Monat ein Freihandelsabkommen mit dem südamerikanischen Handelsbündnis Mercosur. Seither hagelt es Kritik und zwar nicht nur von Protektionisten. Von Doris Pundy | Euractiv, 25.07.2019

Brasilien: Wer kritisiert, fliegt raus. Brasiliens Präsident geht mit umstrittenen Methoden gegen seine Kritiker vor. Er entließ Experten einer Kommission, die Verbrechen aus Zeiten der Militärdiktatur aufarbeiten soll. Zudem geht er massiv gegen eine Behörde vor, die Brandrodungen im Amazonas dokumentiert. Von Benedikt Peters | Süddeutsche Zeitung, 02.08.2019

Langsam kommt der Kater: Brasilien Rund ein halbes Jahr ist Präsident Jair Bolsonaro im Amt, eine Zeit von Chaos und Skandalen. Viele Anhänger wenden sich erschrocken ab. Von Tom Phillips | Der Freitag, 05.08.2019

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