Von Michael Stabenow

Sie sorgen nicht nur in politisch unruhigen Zeiten dafür, dass die Öffentlichkeit über das Geschehen im EU-Viertel informiert wird: die 862 Journalisten, die (Stand September 2021) bei den EU-Institutionen akkreditiert sind. Eine im Auftrag des EU-Ministerrats von einem Team unter Leitung der Wiener Kommunikationswissenschaftlerin Sophie Lecheler erstellte Studie zeigt jetzt auf, wie sich die Arbeit der Brüsseler Korrespondenten in Zeiten des technologischen Wandels verändert hat.

Die Studie beruht auf einer Umfrage, an der sich 181 akkreditierte Journalisten beteiligt haben. Nur 20 Prozent der Korrespondenten befassen sich ausschließlich mit Europathemen, zeigt die Studie auf. Neben dem ebenfalls in Brüssel ansässigen Nato-Hauptquartier findet selbstverständlich auch die Entwicklung im Gastland ihr Interesse.

Deutlicher Rückgang der Zahl der Korrespondenten

Die neue Studie zeigt, dass die Anzahl der bei der Europäischen Kommission, dem EU-Ministerrat und dem Europäischen Parlament akkreditierten Journalisten zuletzt stetig geschrumpft ist. So war 2013 eine Rekordanzahl von 1330 Korrespondenten akkreditiert.

Außer dem von sinkenden Auflagen und schrumpfendem Anzeigenaufkommen herrührenden Sparzwang dürfte dazu auch die im Zeichen der Digitalisierung leichtere Verfügbarkeit von Informationen beigetragen haben. Manche Medienunternehmen verzichten daher darauf, mit vor Ort ansässigen Korrespondenten zu arbeiten.

Eine aktuelle Entwicklung könnte diesen Trend noch verstärken. So sprudeln seit Ausbruch der Corona-Pandemie im Frühjahr 2020 traditionelle Informationsquellen wie Hintergrundgespräche, aber auch frei zugängliche Pressekonferenzen spärlicher.

Frauenanteil nur bei 37 Prozent

Nur geringfügig ist zwischen 2010 und 2020 der Anteil in Brüssel akkreditierter Journalistinnen gestiegen: von 33 auf 37 Prozent. Im Durchschnitt sind Korrespondenten 45 Jahre alt. Sie verbringen in Europas Hauptstadt – statistisch betrachtet – knapp acht Jahre. Rund die Hälfte kehrt der Stadt, die als Posten „mitten in der Karriere“ gilt, nach weniger als fünf Jahren den Rücken.

Mehr als die Hälfte der akkreditierten Journalisten – 520 – kommen aus EU-Staaten. Der größte Anteil entfällt mit 120 (15 Prozent) auf Belgier. Einerseits haben einzelne belgische Medien überdurchschnittlich viele Mitarbeiter akkreditiert; anderseits befinden sich unter den akkreditieren Journalisten auch viele belgische Kameraleute, Producer sowie Tontechniker.

Knapp 100 deutsche Korrespondenten

Deutschland stellt mit knapp 100 akkreditierten Journalisten (rund 10 Prozent) für insgesamt 45 Medien die zweitgrößte Gruppe. Schon 29 Prozent aller Journalisten arbeiten freiberuflich. Der zunehmende Anteil ist ein Indiz dafür, dass es für eine größer werdende Anzahl Journalisten schwieriger wird, finanziell über die Runden zu kommen.

Inhaltlich stand zuletzt die Berichterstattung über die Themen Pandemie, Wirtschaft und Finanzen, Asyl und Migration sowie Energie, Umwelt und Klimaschutz im Vordergrund. Die Studie bestätigt die wachsende Bedeutung sozialer Medien, besonders von Twitter, bei der Informationsbeschaffung. Neben Pressekonferenzen von Kommissaren, Europaabgeordneten sowie Regierungsmitgliedern sind informelle Gespräche mit Mitarbeitern der Pressestellen der EU-Institutionen, aber auch der ständigen Vertretungen der 27 Mitgliedsländer wichtige Informationsquellen.

Die „Financial Times“ bleibt der „Platzhirsch“

Obwohl die Studie die Konkurrenz zwischen den in Brüssel akkreditierten Medien herausstellt, zeigt sie auch einen regen Austausch zwischen Korrespondenten, auch über Sprachgrenzen hinweg, auf. Bestätigt wird, dass gewisse Medien die Themen der Berichterstattung stärker beeinflussen oder selbst als Informationsquellen dienen. Dies gilt nach wie vor für die als „Platzhirsch“ geltende britische „Financial Times“. Sie zählten 71 Prozent der Teilnehmer der Umfrage zu den drei einflussreichsten Medien.

Streitig macht diesen Spitzenrang die zum Axel Springer Verlag zählende englischsprachige, vorwiegend auf das Internet gestützte Publikation „Politico“. Sie beschäftigt in Brüssel mehrere Dutzend Mitarbeiter. Das täglich kostenlos per E-Mail zugestellte aktuelle „Brussels Playbook“ zählt heute zur Pflichtlektüre – nicht nur Brüsseler Korrespondenten.

Akkreditierte Journalisten fürchten um ihre Stellung

Die Studie wirft ein interessantes Schlaglicht auf eine derzeit in Brüssel ausgetragene Kontroverse zur Erweiterung des Zugangs zu Informationen für nicht akkreditierte Korrespondenten. Die nach erweiterten Kommunikationskanälen strebende Kommission treibt entsprechende Überlegungen voran.

Pressekonferenzen sind derzeit im Regelfall über das Internet oder auch den EU-Fernsehsender „Europe by Satellite“ (EbS) frei verfügbar. Zu Hintergrundgesprächen, bei denen anschließend Informanten nicht namentlich genannt werden dürfen, sind – wie in den Mitgliedstaaten – auch in Brüssel derzeit nur akkreditierte Journalisten zugelassen.

Knapp zwei Drittel – 65 Prozent – sprachen sich bei der Umfrage dafür aus, den Zugang weiter nur akkreditierten Journalisten zu gestatten. Zwei Gründe werden dafür angeführt. 64 Prozent erklärten, eine Öffnung werde die Qualität der EU-Berichterstattung nicht verbessern. Einen noch größeren Anteil treibt die Sorge um die Arbeitsplätze in Brüssel um. „Eine große Mehrheit (79 Prozent) gab an, dass eine solche Öffnung zu einer Verkleinerung des Brüsseler Pressekorps führen wird“, heißt es in der Studie.

Hier geht es zu der in englischer Sprache verfassten Studie „A study of the Brussels press corpsA study of the Brussels press corps“

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Titelbild: PressClub Brussels Europe; Foto: Jürgen Klute CC BY-NC-SA 4.0

Dieser Beitrag erschien ursprünglich am 02.03.2022 auf dem deutschsprachigen belgischen Nachrichtenportal Belgieninfo. Die hier wiedergegebene Fassung des Artikels von Michael Stabenow ist gegenüber der ursprünglichen Fassung um einen Absatz, der sich ausschließlich auf Belgien bezog, gekürzt.

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