Der russische Umweltschützer und Blogger Sergey Pinyagin hat in Deutschland Asyl erhalten, seine Lebensgefährtin und Tochter nicht
Von Bernhard Clasen
Eigentlich waren Sergey Pinyagin (37), seine Frau Maria (38) und die 20-jährige Anastasia, die Tochter von Maria, 2013 aus dem verrußten Swerdlowsk am Ural aus der Kohleregion Kemerovo in das sonnige Gebiet Kuban unweit der Metropole Krasnodar umgezogen, weil sie genug hatten von der starken Umweltbelastung in Swerdlowsk. In der Siedlung Novotamansk bauten sie ein Häuschen. Nun hatten sie nur noch wenige Kilometer zum Schwarzen Meer. 15 Kilometer waren es von ihrem neuen Wohnort zur Brücke auf die Krim. Vorbei war das Leben in einer der am höchsten ökologisch belasteten Gebiete Russlands.
Doch aus den Träumen eines ruhigen Lebens in gesunder und sonniger Umgebung an einem der schönsten Flecken Russlands wurde nichts. Als erstes ärgerte sich Pinyagin darüber, dass die Straße vor seinem Haus nicht geteert war, obwohl sie offiziell als Teerstraße geführt wird. Schnell schlussfolgerte er, dass sich da jemand das für die Asphaltierung vorgesehene Geld in die eigene Tasche gesteckt hatte.
Wenig später stieß Pinyagin unweit seiner Wohnung auf eine Fahrzeugwaschanlage. Was ihn an dieser wütend machte waren der Gestank und die Abwässer, die man einfach auf die umliegenden Felder hatte laufen lassen. Dabei gehört gerade diese Gegend zu den produktivsten Weinanbaugebieten Russlands. Die Waschanlage hatte sich auf die Reinigung von Zisternen zur Beförderung von Chemie- und Erdölprodukten spezialisiert.
Kurzerhand filmte der Blogger diese stinkenden, weißen, orangenen und schwarz gefärbten Abwässer, postete sie auf seinem Instagram-Account und machte so den Skandal öffentlich. Und er hatte Erfolg. Der Umweltskandal wurde öffentlich, Ende 2018 protestierten Anwohner gegen die von der Waschanlage ausgehende Umweltzerstörung, per Gerichtsbeschluss wurde diese schließlich geschlossen, der Besitzer zu Schadensersatzzahlungen an die Anlieger verdonnert.
Gleichzeitig beschuldigte Pinyagin den Bürgermeister des Ortes nach weiteren Recherchen der Veruntreuung öffentlicher Gelder. Doch schon bald schlugen die, deren Interessen durch die Veröffentlichungen des Bloggers tangiert waren, zurück. Allein in einem Jahr, 2019, wurden Pinyagin und seine Frau sechs mal überfallen. Immer wieder wurde die Wasserversorgung ausgerechnet in ihrem Haus abgestellt.
Nach einem dieser Überfälle wurde ein Strafverfahren eingeleitet, gegen Pinyagin. Er solle, so der Vorwurf, dem Mann, der ihn überfallen hatte, Verletzungen zugefügt haben. Und die Behörden sperrten auch seine Instagram-Seite. „Sie hatten mir die Sperrung meiner Instagram-Seite angedroht und zwei Tage später konnte ich tatsächlich meinen Account nicht mehr nutzen“ berichtet der Blogger dem Europablog. Bei der Sperrung von Seiten, deren Server im Ausland liegen, gingen die Behörden mit einer einfachen, aber effektiven Methode vor. Hunderte von Bots beschweren sich bei der Administration eines sozialen Netzwerkes über eine Seite und wenig später komme diese den Beschwerden nach und sperre die Seite.
Im Februar 2020 stellten ihm die Behörden bei einem Verhör bei der Polizei ein Ultimatum: entweder verschwinde er aus der Region oder man werde ein Verfahren einleiten. Eine anschließende Haftstrafe sei ihm garantiert. Pinyagin sah, dass sie keine Chance hatten. Wenige Tage später standen seine Frau Maria, die Tochter Anastasia und er mit jeweils einem Koffer in der Hand auf dem Flughafen Berlin-Tegel. Im November wurde der inzwischen in Berlin zusammen mit seiner Frau und der Tochter lebende Pinyagin als politischer Flüchtling anerkannt.
Freuen kann er sich über diese Anerkennung indes wenig, wurden doch gleichzeitig die Asylanträge von seiner Frau Maria und der Tochter Anastasia abgelehnt. Erschwerend kommt hinzu, dass die Ehe der beiden, die seit 17 Jahren zusammenleben, nicht standesamtlich eingetragen ist, Anastasia nicht die gemeinsame Tochter ist. Sollte seine Frau zur Ausreise aufgefordert werden, so Pinyagin zum Europablog, werde er mit ihr zurückkehren. Doch möglicherweise droht ihm direkt bei der Rückkehr eine Verhaftung. Von seinem Anwalt wisse er, dass er in Russland zur Fahndung ausgeschrieben werden solle. Zuvor möchte er Anastasia auf einer deutschen Universität immatrikulieren, damit sie zumindest nicht mehr nach Russland zurückmuss.
Inzwischen haben sich auch die „Reporter ohne Grenzen“ in den Fall eingemischt. Regelmäßig begleitet ein Vertreter der Reporter ohne Grenzen die drei bei Behördengängen und den Anhörungen beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF). „Sergey Pinyagin ist ein mutiger Netzaktivist. Er nutzt als solcher die wenig verbliebenen Freiräume des Internets und der sozialen Netzwerke, um auf Missstände in Russland aufmerksam zu machen und die Verantwortlichen dafür öffentlich zu kritisieren. Nachdem er und seine Ehefrau Opfer körperlicher Gewalt und behördlicher Schikanen geworden waren sowie ein Strafverfahren gegen ihn konstruiert wurde, sah er keine andere Alternative mehr, als Asyl in Deutschland zu beantragen. Dabei hat ihn Reporter ohne Grenzen unterstützt.“ erklärte Jens Uwe Thomas von Reporter ohne Grenzen. Inzwischen hat Pinyagin einen neuen Instagram-Account: @ulica_kaminskogo123.
Fotogalerie
Die folgenden Photos haben Sergey Pinyagin Unglück gebracht: Quelle der Photos: Pinyagin Sergey Instagram @ulica_kaminskogo123. Weitere Photos von ihm finden sich auf seinem Instagram Account: @ulica_kaminskogo123
Titelbild / Fotos: © Sergey Pinyagin
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