Von Jürgen Klute

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Während ich diese Zeilen schreibe ist die Zahl der gemeldeten Toten bereits auf über 17.000 angestiegen. Und die Zahl steigt offensichtlich noch weiter. Die Zahl der Verletzten und die Zahl der obdachlos gewordenen liegt noch sehr viel höher, die auf Fotos zu sehenden Zerstörungen sind enorm. Wie es aussieht, war dieses Erdbeben eines der stärksten, die je in der Region gemessenen wurden.

Angesichts dieser Zerstörungen und des menschlichen Leids, das durch diese Naturkatastrophe verursacht wurde, sollte man annehmen, dass die verantwortlichen Politiker laufende Konflikte unterbrechen und politische Grenzen öffnen, um den betroffenen Menschen in der Katastrophenregion jede erdenklich Hilfe zukommen zu lassen.

Offenbar ist das aber nicht der Fall. Gestern erreichte mich zunächst ein Newsletter des kurdischen Instituts in Brüssel. Darin hieß es, dass die Hilfe im Katastrophengebiet keineswegs allen in gleicher Weise zugänglich ist. Das kurdische Institut beklagte weiterhin, dass die internationalen Medien kaum erwähnen, dass in Syrien vor allem kurdische Siedlungsbiete von dem Erdbeben betroffen sind.

Dann las ich den Artikel von Robin Fleming “World media has forgotten the Autonomous Administration in the earthquake’s rubble” auf Media News (siehe auch den Artikel von Frederike Geerdink auf MedyaNews “Faultlines as extra layers, deepening the pain”). Sie bestätig, was im Newsletter des kurdischen Instituts berichtet wurde und sie erinnert daran, dass das nordsyrische Katastrophengebiete seit Jahren unter den Folgen des Bürgerkrieges in Syrien leidet und deshalb keine Ressourcen mehr hat, um aus eigener Kraft mit dieser Katastrophe fertig zu werden.

Foto: MedyaNews

Das deutschsprachige Nachrichtenmagazin „Der Spiegel“ berichtete, dass die Grenzübergänge zwischen Nordsyrien und der Türkei von türkischer Seite nicht für humanitäre Hilfeleistungen geöffnet wurden, obgleich die Katastrophengebiete von türkischer Seite einfacher und schneller erreichbar sind als aus Syrien.

Damit nicht genug. Die deutsche Tageszeitung „Frankfurter Rundschau“ berichtete, dass die türkische Armee auch nach dem Erdbeben kurdische Gebiete in Nordsyrien (Rojava) bombardiert hat. Und die Tageszeitung „taz“ berichtet, dass aufgrund der innerstaatlichen Konflikte in Syrien Hilfen nur sehr spärlich in den Zielgebieten ankommt, obgleich mittlerweile mehrere Nachbarstaaten Syriens Hilfskonvois nach Nordsyrien entsandt haben.

Dieses Agieren der zuständigen politisch Verantwortlichen ist angesichts der dramatischen Situation gänzlich unverständlich und zynisch. Immerhin hat die deutsch Außenministerin Annalena Baerbock mittlerweile eine Öffnung aller Grenzübergänge zwischen Syrien und der Türkei eingefordert und der Rote Halbmond fordert ein Ende der Sanktionen gegen Syrien. Zumindest eine vorübergehende Aussetzung von Sanktionen wäre im Interesse der Erdbebenopfer gerechtfertigt.* Die UNO sowie die Europäische Union (EU) und die Mitgliedsstaaten der EU sollten ihre Hilfen an die Bedingung knüpfen, dass jegliche Kampfhandlungen in dem Katastrophengebiet beendet werden und dass zudem alle politisch bedingten Behinderungen von humanitären Hilfeleistungen unverzüglich beendet werden. Die kurdische PKK hat immerhin am Abend des 9. Februar 2023 eine Waffenruhe verkündet (siehe dazu auch MedyaNews vom 10.02.2023: “KCK urges its forces to cease military action in Turkey due to earthquake”).

Eine kurzfristige Hilfestellung der EU könnte auch darin bestehen, Menschen aus der Katastrophenregion, die durch das Erdbeben obdachlos geworden sind und die Verwandte in der EU haben, schnell und unbürokratisch Visa für einen Aufenthalt bei ihren Verwendeten in der EU zu erteilen, damit sie für die nächsten Wochen Schutz finden, bis der Wiederaufbau beginnen kann.

Vorrang muss eine schnelle Hilfeleistung für die Verletzten haben. Im zweiten Schritt muss der Wiederaufbau der zerstörten Wohnhäuser schnell in Angriff genommen werden. Die jetzt von dem Erdbeben berufene Region ist weltweit eine der am stärksten von Erdbeben beruhte Region. Wissenschaftler erwarten für die nahe Zukunft weitere schwere Erdbeben in der Region. Deshalb muss beim Wiederaufbau dafür gesorgt werden, dass die Häuser nach den heutigen Standards erdbebensicher wiederaufgebaut werden. Im Interesse der Menschen in der Region müssen internationale Institutionen und Geldgeber darauf bestehen, dass jede Wiederaufbauhilfe an die Bedingung geknüpft wird, dass der Wiederaufbau erdbebensicher erfolgt. Technisch ist das möglich. Es muss aber politisch durchgesetzt werden. Auch hier stehen die UNO und die EU in einer besonderen Verantwortung.

* Zur politischen Problematik von Hilfen für Syrien siehe auch den taz-Artikel “Wissenschaftler über Hilfe nach Erdbeben: “Europa muss sehr vorsichtig sein.“ Syrien fordert Nothilfe nach dem Beben. Ginge der Westen darauf ein, würde er das mörderische Regime legitimieren, warnt Konfliktforscher André Bank.” vom 10.02.2023

Foto: MedyaNews

Titelbild: MedyaNews

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