Beitrag von Frederik D. Tunnat

Als der deutsche Lebensmittel-Discounter Lidl vor drei Jahren zum zweiten Mal den Sprung auf den litauischen Markt wagte, war ich hoffnungsfroh. Ich ging davon aus, dass Lidl die Lebensmittel-Filialbranche Litauens gehörig durcheinander wirbeln; Druck auf die Preise und das Angebot der Konkurrenz (Iki, Maxima, Norfa, Rimi) ausüben würde, wie ich das aus meiner Zeit in England kenne, wo Aldi und Lidl die Branche gehörig aufgemischt haben. Nach dem dritten Jahr von Lidl im litauischen Markt ist von meiner frohen Hoffnung nichts geblieben. Lidl agiert mittlerweile nahezu identisch, wie die genannten litauischen Filialisten, die den Markt weitgehend unter sich aufgeteilt haben, und insgeheim, aber dennoch so offensichtlich, dass es außer der litauischen Regierung und der EU Jedem auffällt, Preisabsprachen treffen, und die Preise für die Verbraucher auf überhöhtem Niveau manipulieren.

Wie anders, als durch (verbotene) Preisabsprachen, können z.B. Bananen in Litauen jahraus, jahrein, unabhängig von der Jahreszeit, guten oder schlechten Ernten, hohem oder geringerem Angebot stets 99 Eurocent, inzwischen oft auch 1,25 Euro das Kilogramm kosten? Bei allen genannten Firmen, einschließlich Lidl. An rund 355 Tagen im Jahr kosten Bananen in Litauen bei allen Lebensmittelfilialisten dasselbe. An rund 10 unterschiedlichen  Tagen im Jahr geben besagte Firmen ihre ebenfalls abgesprochenen, immer selben Rabatte, so dass Bananen dann 2,3 Tage für 79 Cent zu haben sind.

Die Bananen sind nur ein beliebiges Beispiel für unzählige andere Lebensmittel, für die es im litauischen Markt, der innerhalb der EU unter Wettbewerbsbedingungen funktionieren sollte, keinen Wettbewerb gibt. Kartellartig stimmen sich die Firmen hinsichtlich Preis, Rabattaktionen etc. zu Lasten der litauischen Verbraucher ab. Würden die Wettbewerbshüter der Regierung und/oder der EU ihre Arbeit in Litauen korrekt machen, oder die nationalen Verbraucherschützer, außer Adressen und Personal zu haben, auch tatsächlich ihre Funktion wahrnehmen, nämlich lokale Verbraucher zu schützen und einen fairen Preiswettbewerb zu garantieren, wären Zustände wie die geschilderten unmöglich.

Was mich, seit ich in Litauen lebe, wundert, ist die enorme Diskrepanz zwischen den deutlich niedrigeren Einkommen und Renten hier im Land, im Vergleich zu westeuropäischen Ländern wie Deutschland, Österreich, Holland etc., und den durch die Bank deutlich höheren Preisen für Lebensmittel und Getränke.

Produkte, die in geringem Umfang aus Deutschland nach Litauen importiert werden, sind hier zwischen 50 bis 150% teurer als in Deutschland. Mit den zusätzlichen Transportkosten kann das nicht gerechtfertigt werden. Schließlich kommen Gemüse, Salate und viele Obstsorten aus Süditalien, Südspanien auch per LKW nach Deutschland, wobei die Transportstrecken länger sind, als die von Deutschland nach Litauen, dennoch werden viele Lebensmittel um die beschriebene Spanne günstiger in Deutschland angeboten, als in Litauen. Selbst Lebensmittelprodukte aus Down-under, also aus Australien und Neuseeland, die, ähnlich wie Obst aus Südamerika, in der Regel mit Frachtflugzeugen nach Europa gebracht werden, wobei je nach Flugroute Litauen eher zu erreichen ist als Deutschland oder Frankreich, werden, falls man sie überhaupt in Litauen angeboten findet, deutlich teurer verkauft.

Dabei stellt sich rein marktwirtschaftlich, und das will Litauen ja als Mitglied der EU ja sein, die rechnerische Frage, wie sind die hohen Preisdifferenzen überhaupt möglich. Rechnen wir doch einfach mal nach: die Mitarbeiter in den Filialen von Iki, Maxima, Rimi und Co. verdienen rund 2/3 weniger, als ihre Kolleginnen bei Aldi, Lidl und Co. in Deutschland. Lidl Litauen zahlt ca. 20% mehr, als die lokale Konkurrenz, aber deutlich weniger, als in Deutschland und Westeuropa. Das bedeutet für die Inhaber und Aktionäre der litauischen Lebensmittelfilialisten, dass ihre Personalkosten bis zu 66% oder 2/3 geringer sind, als bei ihrer Konkurrenz in Deutschland. Vergleicht man die Arbeitsproduktivität, also die Geschwindigkeit, das Engagement und die Motivation der litauischen und deutschen Angestellten, fällt auf, dass die Litauer/innen für den geringeren Lohn auch deutlich langsamer und weniger motiviert arbeiten. Wer kann es ihnen verdenken? Also müssen wir betriebswirtschaftlich davon ausgehen, dass die tatsächliche Lohnsummeneinsparung der litauischen Firmen nicht 66%, sondern maximal um die 30-35% beträgt, abzüglich der geringeren Produktivität. Wer einmal in Deutschland bei Aldi oder Lidl eingekauft hat, und das Tempo, mit dem deren Mitarbeiter die Produkte einscannen und über das immer kürzer werdende Laufband schieben, mit der Gemütlichkeit vergleicht, mit der die schlecht bezahlten litauischen Kassiererinnen dies tun, stellt fest, dass die deutsche Kassiererin im Schnitt doppelt bis drei Mal so schnell arbeitet.

Dennoch stellt eine Lohnsummeneinsparung von mindestens 30% gegenüber deutsch-westeuropäischen Löhnen einen nennenswerten Betrag dar, der sich für litauische Verbraucher nicht in entsprechend geringeren Preisen für Lebensmittel an der Kasse äußert.

Doch die Lohnsumme für das eigene Personal ist nur einer von mehreren Kostenblöcken, aus denen sich der Lebensmittelpreis letztlich zusammensetzt. Ein nicht unerheblicher Anteil entfällt auf die Einkaufspreise für die Lebensmittel. Hierbei spielt natürlich erneut das Lohnniveau des Landes, in dem die Lebensmittel produziert werden eine Rolle.

Beim Blick in litauische Lebensmittelregale fällt auf, dass diese, selbst fünf Jahre nach Beginn der Wirtschaftssanktionen gegen Russland, noch immer auffallend gut mit Produkten aus russischer und weißrussischer Produktion gefüllt sind. Mal abgesehen davon, wie die litauische Regierung ihren Boykott oder eleganter formuliert, ihre Umgehung des EU Boykotts begründen kann, es bleibt Fakt, dass die in Russland produzierten Waren, zu Löhnen produziert werden, die ihrerseits wiederum mindestens 50% unter den litauischen liegen, was erneut eine enorme Preisdifferenz zu den in Deutschland, zu den dort hohen Löhnen produzierten, darstellt. Dass Russland, um an westliche Devisen zu gelangen, garantiert die ohnehin günstigen Angebotspreise nochmals für die litauischen Filialisten reduziert, um diese so zu animieren, die deutlich schlechteren russischen Produkte, statt der qualitativ besseren aus Westeuropa in die Regale zu stellen, liegt auf der Hand. (Beim Gas aus Russland war es so: sobald Litauen über ein Flüssiggasterminal in Klaipeda verfügte, reduzierte Russland seine Preise um 25%, um die norwegische und us-amerikanische Konkurrenz außen vor zu halten)

Das zeigt, dass der litauische Lebensmittelhandel seinen Kunden Produkte deutlich minderer Qualität, zudem scheinbar unter Umgehung der EU Boykottrichtlinien anbietet, die er zu regelrechten Schnäppchenpreisen einkauft, und deren Preise sich dennoch an den qualitativ hochwertigen, zu hohen Lohnkosten, mit garantiert hochwertigen Zutaten produzierten Produkten aus Deutschland oder Westeuropa orientieren.

Wir haben bisher also bereits zwei erhebliche Einsparungblöcke aufgezeigt, die deutlich machen, dass Lebensmittel in Litauen wesentlich billiger sein müssten. Da sie jedoch zu weit überhöhten Preisen angeboten werden, muss festgehalten werden, dass diese ungerechtfertigten, zusätzlichen Profite bei den Unternehmen und damit ihren Inhabern und Aktionären landen, die ihre Kunden, die litauischen Verbraucher ungeniert abzocken.

Der eigentliche Skandal ist nicht so sehr die Tatsache, dass sich litauische Unternehmen ziemlich rücksichtslos und ungeniert auf Kosten ihrer nicht mit hohen Einkommen gesegneten Kunden bereichern; der Skandal ist, dass die litauische Regierung, die EU Wettbewerbshüter und die nationalen Verbraucherschützer dies alles geschehen lassen, ohne einzugreifen, wozu sie von Amts wegen verpflichtet wären. Das erzeugt den unguten Geruch von Vetternwirtschaft und Korruption, eine der scheinbar nur schlecht ausrottbaren Erbfolgen der ehemaligen UdSSR in dieser ehemaligen Sowjetrepublik.

Doch wir sind mit unserer Analyse der litauischen Lebensmittelpreisgestaltung noch nicht am Ende. Außer den qualitativ eingeschränkten russischen Produkten, wird der litauische Markt von Unmengen chinesischer, weißrussischer und polnischer Produkte überflutet.

Während die polnischen Produkte überwiegend aus Fabriken westlicher, vornehmlich deutscher und us-amerikanischer Lebensmittelkonzerne stammen, die neue Produktionsstätten in Polen aufgebaut haben, da die dortigen Löhne gut 50% unter westlichen liegen, und die sonstigen Rahmenbedingungen wie Steuern, Abschreibungen etc., eine Produktion von Lebensmitteln in Polen erlauben, die insgesamt zwischen 30-50% unter westeuropäischen Produktionskosten liegen. Obwohl die polnischen Fabriken neu gebaut und nach westlichen Standards geführt werden, weisen ihre Produkte eine übereinstimmende Besonderheit auf: sie verwenden für die Produktion der namensgleichen und gleich verpackten Produkte ihrer westlichen Mutterkonzerne andere, sprich minderwertigere und billigere Zutaten. (Ich kann dies durch persönliche, direkte Vergleiche und Geschmackstests belegen) Das führt dazu, dass optisch identische Markenprodukte, die in Polen produziert wurden, und in der Regel in Litauen zu westlichen Originalpreisen oder gar teurer abgegeben werden, andere Inhaltsstoffe, einen anderen Geschmack, und häufig minderwertigere Inhaltsstoffe und Qualität beinhalten.

Dieses Problem wurde im Lauf 2016 von mehreren süd-osteuropäischen Ländern im Rahmen der EU artikuliert. Mehrere Ministerpräsidenten benannten das Problem, wobei die EU Kommission und die zuständigen Kommissare das Thema vermutlich aussitzen werden, da es einfacher ist, Probleme, wie überhöhte Preise, den EU Konsumenten zuzumuten, statt sich mit der Lobby der EU Lebensmittel-Industrie anzulegen.

Die chinesischen Lebensmittel, die zwar günstiger als beispielsweise litauische oder europäische Produkte angeboten werden, zeichnen sich durch ausgesprochen mindere Qualität aus, z.B. Fisch, dem enorme Mengen an Wasser beigegeben werden, bevor er eingefroren wird. Das führt im Gegensatz zu Fangfisch aus westeuropäischer Produktion dazu, dass die Pfanne, in der man chinesischen Fangfisch brät, durch enorme Flüssigkeit auffällt, in der der Fisch, statt zu braten, regelrecht schwimmt. Ist die Flüssigkeit abgeschöpft, reduzieren sich die Filetstücke um mehr als die Hälfte. Das bedeutet, als Konsument wird man doppelt betrogen. Man zahlt für Wasser, statt für Fisch, und bekommt zudem ausgesprochen minderwertige Ware. Vielfach kann man den Fisch nicht essen, da er eventuell für die Verarbeitung von Tiernahrung geeignet wäre, nicht jedoch für menschlichen Verzehr.

Es ist nicht vorstellbar, dass die litauischen Lebensmittel-Filialunternehmen von dieser verbraucherunfreundlichen Täuschung nicht wissen. Doch statt derartig schlechte Ware aus dem Sortiment zu entfernen, bieten sie sie immer häufiger an, da der Profit so für sie so offenbar am höchsten ist.

Eine Drogeriekette verkauft in Litauen Drogerieartikel des deutschen Drogeriekette Rossmann. Artikel, die in Deutschland, als Eigenmarke bei Rossmann, für 49 bis 79 Cent verkauft werden, müssen in Litauen mit dem dreifachen Preis bezahlt werden. Die Transportkosten würden allenfalls einen Aufschlag um 10-15% rechtfertigen.

Milch ist in Deutschland für 50 bis 60 Cent pro Liter zu haben. Litauische Produkte, wohlgemerkt von Mitarbeitern und Bauern produziert, die über 50% weniger als ihre deutschen Kollegen verdienen und mit EU Agrarsubventionen beschenkt werden, werden inzwischen, fast nur noch 0,9 Literweise, zu Preisen zwischen 85 und 90 Cent angeboten. (Der Liter Milch kostet damit in Litauen um und über einen Euro!) Man fragt sich wie so etwas sein kann. Mit Marktwirtschaft und Kapitalismus, sprich der eigenständigen Ausbalancierung von Preisen im Markt hat das absolut nichts zu tun, eher schon mit gezielter Abzocke und kartellartiger Marktstruktur.

Bier aus deutscher Produktion wird in Litauen zwischen 38 bis 68 Cent pro 0,5 Liter Dose angeboten. Biere aus litauischer Produktion kosten 30 bis 50 Cent mehr. Das ist erneut unvorstellbar, angesichts der erwähnten zweifach geringeren Lohnkosten im Land. Das deutsche Bier wird für den geringeren Preis sogar noch hierher transportiert!

Bleibt zu guter Letzt noch der Anteil der Regierung an den Kosten, nämlich die Steuern. Dazu lässt sich festhalten, dass die Mehrwertsteuer Litauens und Deutschlands inzwischen identisch ist, die Unternehmenssteuern jedoch in Litauen geringer ausfallen, als in Deutschland. Rechnen wir daher zusammen, so stellen wir erstaunt fest, dass die in Litauen angebotenen Lebensmittel in allen drei Bereichen: Lohnkosten, Produktionskosten und Steuern günstiger produziert, eingekauft und versteuert werden, als in Deutschland. Dennoch sind die Lebensmittel in Litauen um 20 bis 50 % teurer als in Deutschland, zudem zu hohem Anteil von deutlich schlechterer Qualität.

In Deutschland gibt es das Sprichwort, „etwas stinkt gewaltig gen Himmel“ oder „Der Fisch stinkt vom Kopf her“. Litauen und seine Verbraucher haben ein zum Himmel stinkendes, sprich sehr offensichtliches Problem mit den Preisen der hier angebotenen Lebensmittel, die im Verhältnis zu den Einkommen geradezu unverschämt teuer sind. Das Problem ist so offensichtlich und Jedermann bekannt, dass man sich wundern muss, weshalb die Regierung nicht mit geeigneten Maßnahmen gegensteuert und eingreift. Von Gesetzes wegen und mit Bezug zur EU wäre sie sogar dazu verpflichtet. Da sie das Problem bewusst negiert und nicht angeht, drängt sich der Verdacht auf, dass der Fisch hier deshalb vom Kopf her stinkt, weil Regierungsstellen involviert sind,  sprich auch an dieser Stelle Korruption im Spiel ist, ansonsten kann eine Regierung ein so offensichtliches und elementares Problem ihrer Bevölkerung nicht über Jahre hinweg ignorieren. Es gibt nahezu keinen Litauer, mit dem ich darüber sprach, dem dieses Preis- und Qualitätsproblem nicht bewusst ist, ihn ärgert und finanziell belastet. Dennoch geschieht rein gar nichts.

Dass auch die EU, sowie die zum Schutz der Verbraucher existierenden Organisationen, national, wie auf EU Ebene, ebenfalls in Litauen ganz offensichtlich wegschauen und  versagen, lässt ziemlich tief blicken. Noch erstaunlicher ist, dass ich bereits vor über zwei Jahren investigative Journalisten aus Deutschland auf diesen Sachverhalt aufmerksam machte. Man sagte mir zu, auf das Thema zurückzukommen – geschehen ist nie etwas.

Titelbild: Shopping Carts | Foto: Polycart CC BY 2.0

Autoreninfo

Frederik D. Tunnat war viele Jahrzehnte Verlagsmanager in Deutschland und in der EU. Berufsbedingt führte er ein kosmopolitisches Leben. Seit gut einem Jahrzehnt ist er Freier Schriftsteller und Biograf. Seit drei Jahren lebt er in Litauen lebe und versteht sich als kultureller “Brückenbauer” innerhalb Europas bzw. der EU.

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