Europa.blog: Frau Prodinger, was sind Global Natives?

N. Prodinger: Eine internationale Gemeinschaft von Familien. Was sie verbindet? Lebenslanges Lernen, globales Denken und der gemeinsame Wunsch, ihre Kinder aufgeschlossene, kompetente und lebensbejahende Weltbürger werden zu lassen.

Europa.blog: Wie kommt man auf die Idee, ein solches Projekt zu starten?

N. Prodinger: Wir waren damals, 2009, zwölf Gründer aus aller Welt und wir kannten uns aus den Zeiten, als wir selbst Rucksackreisende waren – mit wenig Geld und viel Fernweh und Neugier auf die Welt und das Leben. Nachdem wir uns über Social Media nach vielen Jahren wieder zusammengefunden hatten, beschlossen wir, unsere Erfahrungen in ein gemeinsames Projekt zu stecken, das es jungen Menschen viel einfacher machen sollte, ihre ersten Schritte in die Welt hinaus zu machen. Von einer Familie in die nächste, also mit der Rückendeckung beider Seiten, über geografische, kulturelle und sprachliche Grenzen zu gehen.

Europa.blog: Unter www.globalnatives.org haben Sie eine recht eindrückliche Webseite. Doch was machen sie ganz praktisch in der realen Welt? Wer sind ihre Zielgruppen?

Nina K. Prodinger | Foto: privat

N. Prodinger: Jede Familie, die gerne über den Tellerrand schaut, hat Global Native Potenzial!
Es kooperieren junge Familien mit Kleinkindern bei der Ferienplanung, es tauschen Familien ihre Teenager für ein Semester oder ein Schuljahr aus, es finden junge Menschen durch ihre Kontakte bei uns ihre passenden Praktikumsplätze genauso wie ihr erstes Quartier beim Auslandsstudium. Und wie? Zuerst online über die Plattform, dann direkt im Dialog und – sofern die Chemie stimmt – auch bald persönlich. Viele ändern einfach ihre Urlaubsplanung und machen daraus ihr persönliches Kennenlernprogramm. Wichtig: dass es für beide Seiten und beide Generationen passt!

Europa.blog: Und wie finanziert sich das alles? Bekommen Sie öffentliche Zuschüsse, z.B. von der EU?

N. Prodinger: Wir finanzieren uns ausschließlich über die Jahresbeiträge der Mitglieder. Also keine Subventionen, keine Spenden, keine kommerziellen Aktivitäten.

Europa.blog: Was sind die nächsten Ziele Ihres Netzwerkes?

N. Prodinger: Wir haben zwei große Ziele in nächster Zukunft. Zum einen wollen wir uns viel intensiver anstrengen, jene jungen Menschen zu erreichen, die sich nicht auf die Rückendeckung ihrer Familien verlassen können. Denn für sie haben wir ja in erster Linie unsere Gemeinschaft gegründet! Und zum anderen wollen wir außerhalb der westlichen Welt deutlich stärker und präsenter werden.

Europa.blog: Wo sehen Sie die größten Hindernisse für Ihre Arbeit? Wie gehen Sie damit um?

N. Prodinger: Es mag lustig und sicher unerwartet klingen, aber unser größtes Problem ist, dass die allgemeine Meinung vorherrscht, Familienplattformen gäbe es ja ohnehin wie Sand am Meer! „So what’s the big deal?“ fragen sich viele.

Tatsächlich aber machen die ganz andere Dinge und wir sind de facto bis heute ohne Konkurrenten! Dabei würden wir uns über Mitbewerber sehr freuen, denn was wir am allermeisten möchten ist, dass internationale Bildung und Chancenmanagement durch faires Geben und Nehmen zur Selbstverständlichkeit wird.

Europa.blog: Was ist Ihr schönstes Erlebnis, das Sie in ihrem bisherigen Engagement mit den Global Natives hatten?

N. Prodinger: Schöne Erlebnisse haben wir täglich, ich liebe diese Arbeit über alles! Aber was mich 2016 tief berührt hat, war der sprunghafte Anstieg an Neumitgliedern nach der Brexit-Entscheidung und nach den letzten Wahlen in den USA. Da haben wir gespürt, wie viele Menschen uns mittlerweile als Tür zur Welt wahrnehmen!

Europa.blog: Wenn man international arbeitet, wird man ja schnell mit Sprachgrenzen – mehr als mit anderen Grenzen – konfrontiert. In welcher Sprache verständigen Sie sich? Schließt die Sprachenfrage nicht bestimmte gesellschaftliche Gruppen von vornherein aus von Ihren Aktivitäten?

N. Prodinger: Unsere gemeinsame Sprache ist Englisch. Für 86% unserer Mitglieder ist Englisch entweder ohnehin Muttersprache bzw. wird passabel bis gut gesprochen und vor allem gerne geübt. 14% brauchen Hilfe bei der Kommunikation, gerne werden die Kinder dafür eingespannt! Zudem haben wir in den meisten der 60 Länder, in denen es aktuell Global Natives Familien gibt, örtliche Ansprechpartner, die in der Landessprache weiterhelfen, informieren und vermitteln können.

Europa.blog: Sie verstehen sich als ein globales Netzwerk. Schaut man auf Ihre Webseite, dann scheint doch eine gewisse Europalastigkeit durch – oder täuscht der Eindruck?

N. Prodinger: Wir sind sogar sehr Europa-lastig. Dieses Verhältnis vor allem in Richtung Asien auszugleichen ist uns sehr wichtig. Wir erleben die deutschsprachige Welt als die aktivsten Sprachenlerner und als die reisefreudigsten Mitglieder, dicht gefolgt von den Skandinaviern und den Holländern. Das hat auch starke historische Wurzeln.

Europa.blog: In den westlichen Industrieländern ist in den letzten Jahren ein gewisser Rückzug auf‘s Nationale zu beobachten, etwa in Form von neuen nationalistischen Parteien und dem Zuspruch, den diese bei Wahlen erhalten haben. Spüren Sie in Ihrem Engagement davon etwas?

N. Prodinger: Oh ja, wir spüren politische und gesellschaftliche Trends recht schnell, nicht zuletzt in den Begründungen der Beitrittswünsche neuer Mitglieder. Und wir sehen eine zunehmende Lagereinteilung in vielen Ländern. Umso mehr brennen wir für unser Ziel, viele junge Menschen neugierig auf fremde Länder und interessiert an anderen Gedankenwelten zu machen.

Europa.blog: Sie verstehen sich als kosmopolitisches Netzwerk, Sie haben mit ihrem Projek eine „cosmopolitian community“ gründet, wie Ihre Webseite zeigt – per August 2017 haben sie etwa 450.000 Familien mit über einer Million junger Menschen in Ihrer Community. Theresa May, die britische Premierministerin lästert ja gerne über Kosmopoliten. Der Guardian zitierte May in einem Artikel vom 5. Oktober 2016 mit dem Satz “If you believe you’re a citizen of the world, you’re a citizen of nowhere.”. Was würden Sie Frau May auf diesen Satz entgegnen?

N. Prodinger: Unser Credo lautet „Global citizenship is a state of mind“. Globales Denken verträgt sich problemlos mit Heimatliebe! Wir erleben ständig, dass sich die beiden ergänzen und nicht ausschließen. Ich bin ja auch Österreicherin mit Leib und Seele und fühle mich dennoch in der ganzen Welt daheim! Weltbürgerschaft bedeutet letztendlich auch das tiefgreifende Verständnis, dass wir alle Menschen sind, mit denselben Sorgen und Hoffnungen. Menschen, die ihre Kinder lieben und friedlich miteinander leben wollen. Gute Politiker wollen das auch.

Weltbürgertum bedeutet nicht, pro oder kontra irgend etwas zu sein und schon gar nicht, den coolen Globetrotter zu spielen. Es bedeutet, sich täglich neu um Wissen, Verständnis und den Blick auf das Ganze zu bemühen, statt mit Bauchentscheidungen an globale Themen heranzugehen.

Europa.blog: Der Sitz Ihres Netzwerkes ist London. Wie betrifft Sie der Brexit? Spüren Sie etwas davon in Ihrem Engagement? Werden Sie in London bleiben auch nach dem Vollzug des Brexits oder überlegen sie, einen anderen Standort zu finden?

N. Prodinger: Ich habe mich selbst oft als „Alpine Anglophile“ bezeichnet, ich liebe die Briten und Großbritannien. Die Entscheidung für den Brexit wird mich persönlich immer schmerzen. In unserer letzten Klausur mussten wir schweren Herzens den Entschluss fassen, London zu verlassen und 2018 unseren Standort nach Mitteleuropa zu verlegen.

Europa.blog: Eine letzte Frage: Was ist Ihr bedeutendster Wunsch im Blick auf die Global Natives?

N. Prodinger: Wir arbeiten täglich darauf hin, dass möglichst vielen jungen Menschen die Welt offen steht. Unabhängig von der Bildung, dem Kontostand und dem gesellschaftlichen Status ihrer Familien. Die nächste Generation soll die Welt besser kennen, um sich auch mehr verantwortlich für sie zu fühlen. Mein Wunsch heißt: Weg mit den Barrieren im Kopf und im Geldbeutel!

Europa.blog: Vielen Dank für das Gespräch.


Titelbild: Global Natives (Foto: privat)

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