Das am heftigsten umstrittene Kapitel der EU-Freihandelsabkommen TTIP und CETA war bzw. ist das ISDS, das Investor-state dispute settlement (deutsch: Investor-Staat-Streitbeilegung). Die massiven Proteste gegen die beiden Freihandelsabkommen haben diese Abkommen zwar nicht stoppen können (TTIP wurde von Trump auf Eis gelegt), aber dennoch haben sie Wirkung gezeigt, am deutlichsten bisher im Bereich des ISDS. Am 21. März 2018 hat der EU-Ministerrat Leitlinien für einen multilateralen Gerichtshofs für Investitionen veröffentlicht.

Der belgische grüne Europaabgeordnete Philippe Lamberts hat diese Leitlinien in dem folgenden Standpunkt erläutert und kritisch gewertet.

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Standpunkt von Philippe Lamberts

Am 20. März 2018 hat der Ministerrat der EU Leitlinien verabschiedet, die von der Kommission bei den Verhandlungen zur Einrichtung eines multilateralen Gerichtshofs für Investitionen beachtet werden müssen. Zur Erinnerung: Die Idee für diesen Gerichtshof entstand im Zusammenhang mit den transatlantischen Verträgen (TTIP und CETA), aufgrund der Tatsache, dass die ISDS-Klauseln bei der europäischen Bevölkerung mehrheitlich auf Ablehnung stieß. Tatsächlich wird internationalen Investoren aufgrund dieser Klauseln das Recht eingeräumt, Staaten vor private Gerichte zu bringen, falls sie der Ansicht sind, dass sich eine Änderung von Gesetzes- oder Verwaltungsvorschriften nachteilig auf ihre finanziellen Interessen auswirken könnte.

Mit der nun vorgesehenen Einrichtung eines multilateralen Gerichtshofs sollen Bedenken hinsichtlich der Transparenz der Entscheidungen sowie der Ethik, Unparteilichkeit, Professionalität und Vergütung der Richter Rechnung getragen werden und Berufungsmechanismen für Konfliktfälle vorgesehen werden. Gegenüber den bisherigen ISDS-Klauseln sind dies erhebliche Unterschiede. Nicht selten waren Schiedsrichter ebenfalls Wirtschaftsanwälte, die angesichts besserer Vergütungsaussichten ein Interesse daran hatten, solche Streitfälle vor private Gerichte zu bringen. Interessenkonflikte solcherart dürften künftig seltener werden.

Deshalb: Ja, der vorliegende Vorschlag ist eine Verbesserung. Doch wird das Pferd hier nicht beim Schwanz aufgezäumt? Mit anderen Worten: Unsere Länder zeichnen sich durch eine solide Rechtsprechung aus, deren Unabhängigkeit von der Politik außer Zweifel steht (als Beleg lässt sich anführen, dass die versuchte Einflussnahme von Politikern auf die Justiz zu öffentlichen Skandalen führen, durch die ihr Image und ihre Chancen auf Wiederwahl nachhaltig beschädigt werden). Im Übrigen handelt es sich hierbei auch um ein Kriterium für den Beitritt zur EU. Weshalb also verlangen wir verärgerten Investoren nicht einfach grundsätzlich ab, ihre Fälle vor nationale Gerichte zu bringen? …

Noch immer stellt sich die Frage, auf die ich bereits im Rahmen der TTIP- und CETA-Verhandlungen gepocht hatte: Warum sollte ausländischen Investoren eine Vorzugsbehandlung zugute kommen? In welcher Weise sollte der Unzufriedenheit letzterer eine derart größere Legitimität zukommen als jener von Regierungen oder der Zivilgesellschaft, auf dessen Grundlage es gerechtfertigt wäre, alleine die Schadenersatzklagen dieser Investoren vor Gericht zuzulassen? Angesichts der Tatsache, dass es keine Möglichkeit gibt, diese Investoren für sozial unverantwortliches Verhalten zu belangen (soweit sie die Gesetze der Nationalstaaten befolgen), ist diese Frage umso mehr von Belang. So konnte bislang noch keine Regierung die Verurteilung eines Unternehmens wie ArcelorMittal oder Caterpillar durchsetzen, die Mitarbeiter auf die Straße gesetzt haben, um ihre Gewinnmargen und zu erhöhen und ihren Aktionären fettere Dividenden zahlen zu können.

Obgleich das MIC-Projekt aus unserer Sicht nicht zufriedenstellend ist, können wir uns doch damit trösten, dass dies wahrscheinlich das erste Mal ist, dass der Rat noch am Tag seiner Annahme und ohne dass es zu einem Kräftemessen mit dem Europäischen Parlament oder der Zivilgesellschaft kommen musste, ein derart bedeutendes Dokument öffentlich machte. Die Minister (und die Kommission) verzichteten auf ein undurchsichtiges Spiel – es scheint, als hätten sie aus den letzten Jahren gelernt. In diesem Sinne wird in einem Absatz ein durchgehend transparenter Ablauf der Verhandlungen, die Möglichkeit zum Webstreaming von Arbeitssitzungen (eine begrüßenswerte Premiere!) sowie die Teilnahme von Organisationen der Zivilgesellschaft als akkreditierte Beobachter der Verhandlungen gefordert. Schlussendlich sind wir etwas überrascht, wie schnell eine Einigung über diese Leitlinien erzielt werden konnte, mit der wir nicht vor Ende dieses Frühjahrs gerechnet hatten.

Misstrauische Gemüter werden gewiss fürchten, dass dieser Umstand dem Bestreben der Minister geschuldet ist, die zeitgleich in den Vereinten Nationen laufenden Arbeiten an einem Vertrag zu stören, mit dem multinationale Unternehmen zur Einhaltung der Menschenrechte verpflichtet werden sollen (zumal dieser Vertrag aufseiten mehrerer europäischer Länder nicht gerade auf überschäumende Zustimmung trifft).

Die Verabschiedung dieser Leitlinien ist lediglich der Startschuss zu diesem Projekt. Von nun an ist es an der Kommission, im Namen der Europäer Verbündete zu finden und das Projekt zu einem guten Abschluss zu führen und dafür zu sorgen, dass der künftige Gerichtshof bei Streitfällen zwischen Investoren und Staaten zu einem unumgänglichen Organ wird. Wie dem auch sei werden die Grünen weiterkämpfen – in Europa bzw. in den Ländern, in denen wir Abgeordnete haben – um die genannten Mängel zu beheben und dafür zu sorgen, dass der MIC im Dienst des Allgemeininteresses und nicht des Big Business stehen wird.

Übersetzung: Hanna Penzer

Français

TTIP et CETA Après la clause ISDS, bientôt la Cour multilatérale sur les investissements

Le Conseil des ministres de l’UE vient d’adopter en ce début d’après-midi (20.03.2018) les lignes directrices que la Commission devra respecter pour négocier la Cour multilatérale sur les investissements. Pour rappel, cette Cour fut imaginée, dans le contexte des traités transatlantiques (TTIP et CETA), car la population européenne était majoritairement opposée aux clauses ISDS. Ces clauses permettant en effet aux investisseurs internationaux de traîner des Etats devant des tribunaux privés au motif que des changements législatifs ou administratifs nuiraient à leurs intérêts financiers.

Ce projet de Cour multilatérale vise à rencontrer les préoccupations concernant la transparence des décisions rendues, l’éthique, l’impartialité, le professionnalisme et la rémunération des juges ainsi qu’à prévoir des mécanismes d’appel en cas de contestations. Il s’agit de différences significatives avec les traditionnelles clauses ISDS. Il n’était pas rare que des arbitres soient aussi avocats d’affaires qui, pour augmenter leurs rémunérations, avaient tout intérêt à ce que de tels litiges soient portés devant des juridictions privées. Ce type de conflits d’intérêts devrait diminuer à l’avenir.

Donc, oui, le projet à l’examen est une amélioration. Mais, ne met-on pas la charrue avant les boeufs ? Pour le dire autrement : nos pays se caractérisent par une justice de qualité et dont l’indépendance du pouvoir politique est incontestable (j’en veux pour preuve que les tentatives d’ingérence du politique dans la sphère judiciaire donnent lieu à des scandales médiatiques qui écornent durablement leur image et potentiel de réélection). Il s’agit d’ailleurs d’un critère d’adhésion à l’UE. Alors pourquoi afin de simplifier les choses, n’exige-t-on pas au préalable que les investisseurs mécontents ne portent pas leur cas devant des tribunaux nationaux ? …

Comme je le soulignais tout au long des épisodes du TTIP et du CETA, pourquoi les investisseurs étrangers bénéficieraient-ils d’un traitement de faveur ? En quoi leurs insatisfactions seraient-elles plus légitimes que celles des gouvernements ou de la société civile au point que seuls ces investisseurs pourraient aller en justice pour demander des dédommagements ? La question mérite d’autant plus d’être posée car si les investisseurs ne se comportent pas de manière socialement responsable (pour autant qu’ils respectent les législations nationales), il n’y a aucun moyen de se retourner contre eux. Ainsi, aucun gouvernement n’a jamais obtenu la moindre condamnation d’une entreprise comme ArcelorMittal ou Caterpillar qui licenciait afin d’améliorer leurs marges bénéficiaires et de gonfler les profits versés aux actionnaires.

Si le projet de MIC ne nous satisfait pas, nous pouvons toutefois nous consoler que c’est probablement la première fois que le Conseil rend public, le jour même de son adoption et sans qu’un bras de fer ait dû s’engager avec le Parlement européen ou la société civile, un document d’une telle importance. Les Ministres (et la Commission) semblent avoir tiré la leçon de ces dernières années en renonçant à jouer la carte de l’opacité. A cet égard, un paragraphe demande que les négociations se tiennent en toute transparence, que des sessions de travail puissent être webstreamées (une première à saluer !) et que les organisations de la société civile puissent y participer en tant qu’observateurs accrédités.

Enfin, nous sommes quelque peu surpris de la rapidité avec laquelle un accord sur ces lignes directrices est intervenu puisqu’on ne l’attendait pas avant la fin du printemps. Les esprits suspicieux craindront certainement que cela dénote la volonté des Ministres de prendre de court les travaux menés en parallèle aux Nations-Unis sur un traité obligeant les entreprises multinationales à respecter les droits humains (surtout que ce traité ne rencontre pas un optimisme débordant dans le chef de plusieurs pays européens).

L’adoption des lignes directrices ne marque que le coup d’envoi de ce projet car il appartient maintenant à la Commission, au nom des Européens, de trouver des partenaires pour le mener à bien et de faire en sorte que la future Cour soit une entité incontournable en cas de litiges entre investisseurs et pays. En tout état de cause, les Verts poursuivront le combat à l’Europe ou dans les pays où nous avons des élus pour corriger les défaillances susmentionnées afin de mettre la MIC au service de l’intérêt général au lieu du big business.

Titelfoto: TTIP Demo Wien, Globla2000 CC BY-ND 2.0

Philippe Lamberts

Philippe Lamberts, geboren 1963 in Brüssel, ist seit 2009 für die belgisch-wallonische Partei Ecolo des Europäischen Parlaments. Von 2006 bis 2012 war er Co-Vorsitzender der Europäischen Grünen Partei. Zur Zeit ist er gemeinsam mit der deutschen Europaabgeordneten Ska Keller Co-Vorsitzender der Grünen/EFA-Fraktion im Europäischen Parlament.

Philippe Lamberts ist Mitglied im Ausschuss für Wirtschaft und Währung (ECON), im Ausschuss für Industrie, Forschung und Energie (ITRE) und er ist Mitglied der Delegation für die Beziehungen zur Volksrepublik China (D-CN). Außerdem ist er stellvertretendes Mitglied in der Delegation für die Beziehungen zu den Vereinigten Staaten (D-US).

Offizielle Webseite von Philippe Lamberts des Europäischen Parlaments

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