Am heutigen 3. Oktober 2017 jährt sich die Katastrophe vor Lampedusa zum vierten Male. Über 360 Flüchtlinge aus Nordafrika ertranken bei der Tragödie vor vier Jahren, als ihr Schiff wenige Seemeilen vor der Küste von Lampedusa unterging.

Die Konferenz Europäischer Kirchen, die Kirchliche Kommission für Migranten in Europa, die Föderation Protestantischer Kirchen in Italien und Mediteranian Hope habe anlässlich dieses Jahrestages ein gemeinsames Stellungnahme veröffentlicht. Darin erinnern sie an diese Tragödie und fordern zu einer menschenrechtsgemäßen Flüchtlingspolitik auf.

Europa.blog veröffentlicht an dieser Stelle den englischen Text der Erklärung. Auf eine italienische Textversion wird unten verlinkt.

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Henrik Hansson
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The Conference of European Churches (CEC) is a fellowship of some 114 Orthodox, Protestant, Anglican and Old Catholic Churches from all countries of Europe, plus 40 National Councils of Churches and Organisations in Partnership. CEC was founded in 1959. It has offices in Brussels and Strasbourg.

Lampedusa Ecumenical Statement

The following is a joint press release from the Conference of European Churches, the Churches’ Commission for Migrants in Europe, the Federation of Protestant Churches in Italy and Mediterranean Hope.

For the release in Italian, please click here

Lampedusa Ecumenical Statement from the International Conference “Living and witnessing the border”

30 September – 3 October 2017

We are Christians of different traditions from Europe and the United States meeting in Palermo from 30 September 2 October 2017 to reaffirm our commitment to welcoming migrants and asylum seekers. Catholics, Orthodox and Protestants, we have ecumenically carried out reception activities, taking into account the concerns and proposals made by experts and civil society representatives who have contributed to our debate.

On 3 October, we will go to Lampedusa to remember the victims of the 3 October 2013 shipwreck where 368 migrants perished a few nautical miles from the coast. After the conclusion of these meetings and commemoration, we will return to our churches and ecumenical entities in which we are engaged and make the following plea:

Sisters and brothers, we should always remember that protecting and welcoming migrants and refugees is at the centre of our faith in Christ, and these values are the core Christian message that we are being called upon to proclaim. We should remember that according to the gospel message that nourishes our faith, migrants and refugees who live among us have fundamental rights that cannot be restricted or denied for our benefit or in the name of our national interests.

We should recall that every wall that separates us from our neighbour and stops those who flee from persecution and violence, takes us away from the love of the Lord and our vocation to welcome and protect. Brothers and sisters, we renew our commitment to provide places of welcome and safety, offer aid and hope so that people can rebuild their lives after suffering the wounds of war, persecution and hunger. We also invite migrants to bring their gifts, experiences and voices to make our churches more open and caring for all.

This is why we oppose any policy of closure or change of the borders to prevent or deny access to men, women and children who would be entitled to international protection.

We now appeal to our governments and international institutions to ensure safe passages and humanitarian corridors for refugees, asylum seekers and those living at risk or under conditions of vulnerability.

We ask those who are political decision makers to become further aware of new economic, political, military and environmental factors that push people to flee towards more stable and wealthy countries and to ensure a humane and more inclusive interpretation of the right to international protection and asylum.

We express our support for policies of stabilisation and economic support to countries that today are unable to guarantee the survival and growth of many of their citizens.

We wish to call on our churches to reach out to governments and authorities to implement more humane and open policies for the refugees, to build bridges as instruments of solidarity and signs of hope. This is why we call on the help of the Lord to support us in serving our neighbour who is knocking on our borders.

Fotos (2): Noborder Network CC BY 2.0

Hintergrund: EU-Flüchtlingspolitik

Die Flüchtlingspolitik wird seit den 1990er Jahren auf EU-Ebene geregelt und koordiniert. Da liegt es nahe, die EU pauschal zum Sündenbock für diese skandalöse Politik zu machen. Doch das wäre sachlich falsch und deshalb wäre es auch wenig hilfreich im Bemühen um eine menschenwürdige Flüchtlingspolitik in der EU.

Man muss sich vor Augen führen, dass die EU kein homogener politischer Block ist. Sie besteht vielmehr aus den drei Institutionen EU-Rat, EU-Kommission und EU-Parlament. Und die haben nicht nur unterschiedliche Aufgaben, sondern verfolgen auch unterschiedliche Interessen. Zudem ist die interne Machtverteilung zwischen diesen drei Institutionen keineswegs ausbalanciert – wenngleich das EU-Parlament als die bisher einzig demokratisch legitimierte unter den drei Institutionen durch den Lissabon Vertrag erheblich mehr an Mitentscheidungskompetenzen erlangt hat und somit der EU-Rat in den meisten Fällen ohne die Zustimmung des Parlaments keine Richtlinien und Verordnungen mehr beschließen kann.

Die gegenwärtige EU-Flüchtlingspolitik spiegelt vor allem die Interessen der Regierungen der Mitgliedsländer wider. Sie wurde begründet mit dem Dubliner Übereinkommen von 1990, das 1997 in Kraft trat. Diese Übereinkunft war ein völkerrechtlicher Vertrag zwischen den Regierungen der damaligen 12 EU-Mitgliedsstaaten und weiteren europäischen Staaten. Es war also noch kein EU-Recht im heutigen Sinne.

2003 wurde dieses völkerrechtliche Abkommen ersetzt durch die so genannte Dublin-II-Verordnung des EU-Rates. Bei dieser Verordnung handelt es sich um EU-Recht, dass zum damaligen Zeitpunkt aber noch vom Rat ohne Mitentscheidungsverfahren des EU-Parlaments beschlossen wurde. Dementsprechend spiegelt auch Dublin-II vorrangig die Interessen der Regierungen der EU-Mitgliedsländer wider und nicht etwa gemeinsame europäische Interessen geschweige denn die viel beschworenen EU-Menschenrechtsstandards.

Im Juli 2013 trat dann die Dublin-III-Verordnung in Kraft. Diese Verordnung wurde vom EU-Rat und dem EU-Parlament im Mitentscheidungsverfahren nach dem Lissabon Vertrag beschlossen. Substantielle Veränderung der EU-Flüchtlingspolitik hat die Dublin-III-Verordnung jedoch nicht erbracht.

Die Dublin-Verordnung verfolgt drei Ziele: Zum einen regelt die Verordnung, dass jedem Asylsuchenden, der im Geltungsbereich der Verordnung einen Asylantrag stellt, garantiert wird, dass ein entsprechendes Verfahren durchgeführt wird. Des weiteren ist geregelt, dass das EU-Mitgliedsland, in dem ein Asylsuchender die EU erreicht, für die Durchführung des Asylverfahrens verantwortlich ist. Wir dem Asylsuchenden Asyl gewährt, dann ist das EU-Mitgliedsland, das ihm Asyl gewährt, auch weiterhin für ihn zuständig. Er kann also nicht  weiterziehen oder weitergeleitet werden in ein anderes Mitgliedsland. Alle Kosten, die mit diesem Verfahren verbunden sind, muss der aufnehmende Mitgliedsstaat tragen. Und drittens soll verhindert werden, dass ein Asylsuchender mehr als einen Antrag innerhalb der EU stellt. Dazu regelt die Dublin-Verordnung den Datenaustausch (vor allem den Austausch von Fingerabdrücken) bezüglich der Asylantragstellenden zwischen den EU-Mitgliedsstaaten.

So schafft die Dublin-Verordnung zwar Rechtssicherheit im Blick auf die Durchführung eines Asylverfahrens – dass aber auf einer sehr restriktiven Rechstbasis.

Und sie führt zu fragwürdigen Ergebnissen für die EU-Mitgliedsstaaten. In Deutschland ist die Zahl der Asylanträge massiv zurück gegangen, da die BRD keine EU-Außengrenzen hat (die Nordseeküste kann man nicht wirklich als EU-Außengrenze bezeichnen). Die meisten Asylsuchenden kommen aus Nordafrika über das Mittelmeer nach Italien, Spanien, Malta und Griechenland. Die wirtschaftliche und soziale Integration der Asylsuchenden liegt nach der Dublin-Verordnung allein in der Verantwortung der Aufnahmeländer. Die genannten Länder gehören zudem zu denen, die seit Ausbruch der EU-Finanz-Krise unter enormen wirtschaftlichem Druck stehen und aufgrund der von der Bundesregierung durchgesetzten rigiden Sparpolitik an die Grenzen ihrer finanziellen Möglichkeiten stoßen. Das führt in diesen Ländern zu massiven gesellschaftlichen Konflikten bzw. zu steigender Ausländerfeindlichkeit und Rassismus.

Sinnvoll wäre deshalb eine proportionale Aufteilung der Asylsuchenden auf alle EU-Mitgliedsstaaten. Vor der Verabschiedung der Dublin-III-Verordnung ist die Einführung eines Schlüssel zur Aufteilung von Asylsuchenden auf alle EU-Länder ins Gespräch gebracht worden. Aber die Bundesregierung hat sich mit ihrer Ablehnung eines solchen Schlüssels durchsetzen können.

Hat sich das Parlament bei der Dublin-III-Verordnung noch weitgehend auf den Ratspositionen eingelassen, hat es seine Position nach der Flüchtlingstragödie vom 3. Oktober vor Lampedusa korrigiert. Am 23. Oktober 2013, also nur wenige Tage nach der Tragödie vor Lampedusa, hat das EU-Parlament eine Resolution verabschiedet, die an den Rat gerichtet war, auf dessen Tagesordnung für den 26. Oktober 2013 auch dieses Thema stand.

Diese Resolution formuliert klare Forderungen an den Rat in Bezug auf eine Reform der EU-Flüchtlingspolitik. Die Rettung schiffbrüchiger Flüchtlinge soll zu einer Kernaufgabe der Grenzüberwachung gemacht werden. In die Neuverordnung für gemeinsame Frontex-Einsätze auf See sollen verbindliche Regeln zur Seenotrettung aufgenommen werden. Alle europäischen und nationalen Gesetze, die die Rettung von Flüchtlingen in Seenot unter Strafe stellen, sollen reformiert werden. Weiterhin werden Verfahren für eine gerechte und proportionale Verteilung von Flüchtlingen auf alle EU-Mitgliedsstaaten eingefordert, um die südeuropäischen Staaten zu entlasten (derzeit nimmt nicht einmal die Hälfte der 28 EU-Staaten Flüchtlinge auf). Auch sollen Flüchtlinge nicht mehr in Aufnahmeländer zurück geschickt werden dürfen, wenn deren Asylsystem überlastet ist, was aktuell auf Griechenland, Malta und Italien zutrifft.

Darüber hinaus fordert das EU-Parlament einen fairen Zugang zum europäischen Asylsystem und die Entwicklung legaler Zugangsmöglichkeiten im Rahmen der Migration von Arbeitskräften.

Eine entsprechende Reform des EU-Asylrechts steht bis heute aus. Sie hat nicht einmal begonnen. Die Hauptblockade sind nationale Egoismen einiger EU-Länder, zu denen auch die Bundesrepublik gehört. Die Überwindung dieser Blockaden dürfte angesichts einer erstarkenden Rechten und eines neuen Nationalismus in vielen Mitgliedsländern nicht einfach sein.

Cecilia Malmström, die bis Ende Oktober 2014 für dieses Thema zuständige EU-Innenkommissarin, hat den ersten Jahrestag der Flüchtlingstragödie vom 3. Oktober 2013 vor Lampedusa zum Anlass genommen, kurz vor dem Ende ihrer Amtsperiode dieses skandalöse Versäumnis noch einmal zur Sprache zu bringen. In ihrer Presseerklärung dazu vom 2. Oktober heißt es: “Die Bilder von Lampdusa sind noch immer in meinem Kopf. Sie sind eine schreckliche Erinnerung daran, dass wir danach streben müssen, dass Europa offen bleibt für jene, die Schutz suchen”. […] “Ich will sehr klar sein – wenn es um die Aufnahme von Flüchtlingen geht, ist die Solidarität zwischen den EU-Mitgliedstaaten noch weitgehend inexistent. Das ist wahrscheinlich die größte Herausforderung für die Zukunft.” 

Mit der verstärkten Zuwanderung von Flüchtlingen aus dem Mittleren Osten – nicht zuletzt als Folge der Kürzungen  der Finanzmittel für die Versorgung der Flüchtlinge mit Lebensmitteln in den Flüchtlingslagern in der Region – ist die Lage in der EU noch komplizierter geworden. Eine den Menschenrechten entsprechende Hilfe für Flüchtlinge auf EU-Ebene scheint gegenwärtig nicht in greifbarer Nähe, da rechte Parteien in  der EU die Stimmung gegen Flüchtlinge schüren und insbesondere sich einige mittel- und osteuropäische EU-Mitgliedsstaaten weigern, Flüchtlinge aufzunehmen und an einer EU-Lösung konstruktiv mitzuwirken – zu Lasten vor allem von Griechenland und Italien.

Titelfoto: GUE/NGL CC BY-NC-ND 2.0

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