Beitrag von Jürgen Klute

Seit der so genannten Flüchtlingskrise 2015 verbindet sich Österreich mit einer sehr restriktiven Flüchtlingspolitik. Um so überraschter war ich, als ich kürzlich bei einem Besuch in Wien eher zufällig auf die Skulptur Gäste | Gosti | Misafirler traf. Diese Skulptur steht am Rande des Karlsplatzes im Zentrum von Wien.

Auf den ersten Blick erinnert sie an einen nach zwei Seiten hin offenen Unterstand. Erst beim genaueren Hinschauen entdeckt man, dass es sich hier nicht um einen Unterstand handelt. In der Mitte befindet sich ein Betonkegel. An der geschlossenen Außenwand eine Bank, die leer ist. Vor der anderen Außenwand befindet sich auf dem Boden Betonplatten, auf denen ein Betonkegel steht. Durch eine Aussparung in dieser Wand schaut man auf ein Kette, an der ein Beton-Zylinder befestigt ist. Geht man um die Skulptur herum, sind auf der Rückseite Zeichnungen zu erkennen.

Auf einer zum Karlsplatz hin aufgestellten Tafel wird dem interessierten Betrachter bzw. der interessierten Betrachterin erläutert, auf was er bzw. sie hier gestoßen ist: auf die Skulptur Gäste | Gosti | Misafirler. Diese Skulptur wurde von Schülern der Wiener Berufsschule für Baugewerbe mit dem Berliner Künstler Karsten Födinger geschaffen. Weitere Kooperationspartner waren die Kunsthalle Wien und die Arbeiterkammer Österreichs.

Die Erstellung der materiellen Skulptur und deren dauerhafte öffentliche Präsentation im Zentrum Wiens ist großartig. Für die Schüler der Berufsschule für Baugewerbe war vermutlich der Prozess, an dessen Ende die fertige Skulptur stand, noch viel wichtiger. Unter einer völlig anderen als der beruflichen Perspektive haben sie sich mit einem für sie alltäglichen Material auseinandergesetzt: Nämlich Beton als künstlerisches Gestaltungsmaterial zu begreifen, der die Schüler, die aus unterschiedlichen Kulturen und Gesellschaften kommen, herausfordert, ihre soziale Erfahrungen im Zusammenarbeiten und Zusammenleben zu reflektieren und in Zusammenarbeit mit einem Künstler mit dem Werkstoff Beton zum Ausdruck zu bringen.

Es ist nicht das Thema Flucht, um das es bei dieser Skulptur geht. Es geht um das alltägliche Zusammenleben und Zusammenarbeiten von Menschen aus unterschiedlichen Gesellschaften und Kulturen. Weshalb sie jetzt in Wien leben ist zweitrangig. Wichtig ist, dass sie jetzt am gleichen Ort in der gleichen Gesellschaft leben und sich damit auseinandersetzen müssen, wie sie ihr Zusammenleben organisieren.

Der abstrakte Begriff Integration wird damit plötzlich konkret, mit Händen fassbar – wie Beton, der im Englischen im übrigen „concrete“ heißt.

Weitere Erläuterungen zu der Skulptur enthält der Text der Erläuterungstafeln, der in der deutschen und englischen und Version unter den Fotos wiedergegeben ist.

Unterhalb des Textes der Erläuterungstafeln gibt es noch einen Link zu einem Video, das von der Erstellung der Skulptur gemacht wurde.

 

Making-of-Video

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