Grüne Hauptstädte Europas

2010: Stockholm

2011: Hamburg

2012: Vitoria-Gasteiz (Spanien)

2013: Nantes

2014: Kopenhagen

2015: Bristol

2016: Ljubljana

2017: Essen

2018: Nijmegen

2019: Oslo

Beitrag von Jürgen Klute

Aus Anlass des Jahres „Grüne Hauptstadt Europas 2017“ fand am 14./15. Dezember in Essen die Konferenz „Europäische Zukunftsformate“ statt. Der Ort war gut ausgesucht: Das preisgekrönte SANAA-Gebäude auf dem Gelände der Zeche Zollverein. Die Architektur von Ort und Gebäude verknüpfen Geschichte und Zukunft symbolhaft.

Dies war auch Anspruch, an dem sich die Konferenz in den Räumen des preisgekrönten Gebäudes messen lassen wollte. Von mehreren Rednern wurde die Grüne Hauptstadt Europas Essen 2017 in eine historische Reihe mit der Internationalen Bauausstellung 1989 – 1999 („IBA“ / Emscherpark) und der Kulturhauptstadt Essen für das Ruhrgebiet 2010 eingeordnet. In einem weiteren von Karola Geiß-Nettelhöfel,  Regionaldirektorin des Regionalverband Ruhr (RVR), wurde die Brücke in die Zukunft geschlagen, nämlich zur Internationalen Gartenausstellung (IGA), die im Jahr 2027 im Ruhrgebiet stattfinden soll. Die Jahre bis 2027 bilden die „Grüne Dekade“, die mit der Grünen Hauptstadt Europas Essen 2017 eingeleitet wurde.

Diese Einordnung der „Grünen Hauptstadt Europas“ ist schlüssig und macht Sinn, da so deutlich wird, dass es sich bei dem diesjährigen Projekt keinesfalls um ein „Insel-Projekt“ handelt, sondern, dass es sich im Rückblick in einen durchaus strategischen Ansatz des Strukturwandels einreiht, zu dem die IBA unter der Leitung von Karl Ganser den Grundstein gelegt hat: den sozial-ökologischen Umbau einer alten Industrieregion. Denn schaut man sich die im Rahmen der IBA entwickelten Industriedenkmäler und die mit der IBA begonnene systematische Wiederbegrünung der Region an, dann wird erkennbar, dass es sich hierbei keineswegs um Zufallsergebnisse infolge der Deindustrialisierung handelt. Auch die Ausrichtung des Projektes der Grünen Hauptstadt Europas auf die bereits zugesagte – aber noch nicht ganz durchfinanzierte – IGA 2027 steht in einer Linie mit der bereits eingeschlagenen Entwicklungsstrategie.

Dennoch klammerte die Konferenz einige zentrale Fragen aus. So lenkte bereits der Titel der Konferenz „Europäische Zukunftsformate“ den Blick auf Veranstaltungsformate und höchstens in zweiter Linie auf Inhalte. Demgegenüber ist das Konzept der EU-Kommission für die Grünen Hauptstädte Europas auf Inhalte und konkrete Veränderungen vor Ort ausgerichtet. Nach Angabe der Kommission geht es bei dem Programm um die Bewältigung der ökologischen Herausforderungen, vor denen die Städte stehen und die sie als Ballungsgebiete selbst mit erzeugen. Denn zwei Drittel der BürgerInnen der EU, so die EU-Kommission, leben in Städten.

Die Frage, ob und inwieweit die Konzeption der Grünen Hauptstadt Europas als Veranstaltungsformat geeignet ist, die von der EU-Kommission benannten Ziele dieses Formats zu erreichen, klang zwar an, sie hätte aber intensiver verfolgt werden können. Immerhin gibt es dieses Format seit 2010 (vgl. nebenstehenden Kasten). Ein auswertbarer Erfahrungsfundus liegt also vor.

Spannender noch ist die Frage, wie Städte mit den Herausforderungen umgehen wollen und können, die sich aus der immer schneller in alle gesellschaftlichen Bereiche vordringenden Digitalisierung ableiten.

Zu genau dieser Frage konnte Wolfgang Teubner, Regionaldirektor für Europa beim globalen ökologischen Städtenetzwerks „ICLEI“ als Redner in Essen einen wertvollen Beitrag leisten. Er ging der Frage nach, wie eine nachhaltige Transformation von Städten bei gleichzeitiger Stärkung des sozialen Zusammenhalts gelingen kann.

Denn aus Sicht des Städtenetzwerks gerät dieser Transformationsprozess unter den Druck zweiter gewichtiger Entwicklungen: Einerseits unter den Druck, der aus dem Klimawandel und den begrenzten Ressourcen des Planeten resultiert sowie andererseits unter den Druck, der sich aus der technischen Innovation – also der Digitalisierung – und den ökonomischen bzw. Kapitalinteressen ableitet.

Verbunden mit der Digitalisierung ist eine Schwerpunktverlagerung innerhalb der Wirtschaft von der arbeitsintensiven Industrie zu einer kapitalintensiven Internet-basierten Ökonomie, für die Unternehmen wie Facebook, Amazon, Uber, Airbnb, etc, stehen. Diese Unternehmen sind auf lokale Infrastrukturen angewiesen und nehmen sie ausgiebig in Anspruch. Doch an der Finanzierung dieser Infrastruktur beteiligen sie sich so gut nicht, da die entsprechenden Unternehmen steuerlich schwer greifbar sind.

Welche kulturellen, sozialen und ökonomischen Auswirkungen wird diese Dynamik auf Dauer haben? Welche Folgen hat der daraus resultierende Druck auf Arbeitsplätze für Einkommen und soziale Sicherungssysteme? Diesen Fragen müssen sich, so Teubner, Kommunen heute stellen. Mehr noch: Muss die heutige starke Ausrichtung der Wirtschaft auf Wettbewerb nicht korrigiert werden zugunsten einer stärkeren Ausrichtung auf Kooperation, um diesen Herausforderungen wirksam begegnen zu können?

Der ICLEI-Vertreter verwies auf die „Baskische Erklärung“ von 2016 („Basque Declaration“: New Pathways for European Cities and Towns to create productive, sustainable and resilient cities for a liveable and inclusive Europe), die Antworten auf diese Fragen zu geben versucht. Die derzeit von 480 kommunalen/regionalen Körperschaften getragene Erklärung fordert die verantwortlichen Politiker in den Städten auf, ausgetretene Denkwege zu verlassen und neue Ideen zu entwickeln. In einer zehn Punkte umfassenden Agenda werden neben den gängigen Forderungen zu einer umweltverträglichen Lebens- und Arbeitsweise ausdrücklich Forderungen nach einer Stärkung des sozialen Zusammenhalts und dem Aufbau lokaler Ökonomien formuliert. Dazu, so Wolfgang Teubner, stellt sich die Frage, ob im Interesse eines guten und würdigen Lebens zukünftig die Einkommensverteilung noch wie in der Vergangenheit nur über Lohnarbeit erfolgen kann oder ob nicht auch andere Formen der Einkommenssicherung im Kontext lokaler Ökonomien entwickelt werden müssen.

Gerade im Ruhrgebiet mit seiner hohen öffentlichen und privaten Armut sind dies brennende Fragen, die, wie die letzten Bundestagswahlen gezeigt haben, zukünftig zu politischen Konstellationen führen könnten, die den nötigen Transformationsprozess blockieren.

Die Digitalisierung bringt jedoch nicht nur Probleme mit sich, wie Wolfgang Teubner darlegte. Unter dem Titel „Partizipation 2.0“ benannte er auch Beispiele gesellschaftlicher Entwicklungspotentiale der Digitalisierung. So gibt es beispielsweise in Hamburg die digitale Plattform „Nexthamburg“, auf der regelmäßig Ideen, provokante Zukunftsthesen und -szenarien sowie themenbezogenen Daten und Fakten zur Verfügung gestellt werden. Nexthamburg versteht sich als offenes Stadtlabor und lädt BürgerInnen zur Diskussion über die eingestellten Thesen ein.

Gerade dieses partizipative Potential der Digitalisierung führt zu einer weiteren Frage an die Veranstaltung in Essen. In der “EssenerErklärung” zur Grünen Hauptstadt Europas – Essen 2017, die zum Ende der Konferenz vorgestellt wurde, heißt es: „Sowohl die Kooperation als auch der Dialog ist für die Wirkung all dieser Formate von besonderer Bedeutung.“ Dem kann man nur zustimmen. Aber weshalb waren dann keine zivilgesellschaftlichen Akteure in die Konferenz eingebunden, etwa VertreterInnen der Transition-Town-Bewegung, die sich immerhin sehr engagiert in den Prozess der Grünen Hauptstadt eingebracht haben?

Dabei hat sich seit den Zeiten der Internationalen Bauausstellung, die u.a. von der Initiative „IBA von unten“ kritisch begleitet wurde, gezeigt, dass zivilgesellschaftliche Akteure wichtige Impulse zum Gelingen der Projekte beigetragen haben.

Lag der Grund darin, dass zivilgesellschaftliche Interventionen oft unbequem und selten konfliktlos ablaufen? Doch die Erfolge geben den zivilgesellschaftlichen AkteurInnen Recht. So hätte es im Rahmen der Europäischen Kulturhauptstadt 2010 ohne die OffArtParlament-Resolution nicht die „local Heros“ gegeben.

Eine Konferenz, in deren Zentrum „Europäische Zukunftsformate“ standen, wäre doch ein guter Ort gewesen, die Erfahrungen mit zivilgesellschaftlichen Interventionen gemeinsam mit zivilgesellschaftlichen AkteurInnen zu reflektieren und Vorschläge zu erarbeiten, wie zivilgesellschaftliche AkteurInnen zukünftig – unter Berücksichtigung neuer Möglichkeiten, die die Digitalisierung eröffnet – systematisch und strukturell an den „Europäischen Formaten“ beteiligt werden können. Solche Vorschläge hätten einen echten Mehrwert erzeugt.

Und: Hätten zu der Konferenz und zur Abschlusserklärung nicht auch Themen gehört wie „Das Recht auf Stadt“ (Henry Lefebvre) oder „Rebellische Städte“ (David Harvey) oder „If Mayors ruled the World (Benjamin Barber)? Gerade Lefebvre, Harvey und Barber könnten mit ihren Analysen, Einsichten und Thesen die weitere Entwicklung „Europäischer Zukunftsformate“ bereichern und deren „Eventisierung“ entgegenwirken. Etliche Initiativen beziehen sich ja auch inhaltlich auf diese Autoren.

So blieb die Konferenz wie auch die „Essener Erklärung“ zur Grünen Hauptstadt Europas – Essen 2017 bedauerlicher- und unnötigerweise hinter ihren Möglichkeiten zurück. Die Region hat schlicht mehr zu bieten, als die Konferenz und die Abschlusserklärung sichtbar zu machen vermochten.

Optimistisch stimmen hingegen Projektideen aus der Zivilgesellschaft. Eines dieser Projekte trägt den Titel „Essen essbar machen“. Es geht bei diesem Projekt darum, städtische Grünflächen stärker mit Nutzpflanzen statt mit freizeitorientierten Zierpflanzen zu begrünen. Also mit Pflanzen, die im Herbst nicht auf dem Komposthaufen landen, sondern in der Küche. Eine der Essener Bezirksvertretungen hat sich hinter dieses Projekt gestellt, so dass sich nun die Essener Stadtverwaltung damit auseinandersetzen muss.

Diese konkreten Ideen sind es Wert, weiterentwickelt und mit Ideen von BürgerInnen aus anderen europäischen Städten in Austausch gebracht zu werden – auch das ist durch die Digitalisierung leichter möglich als früher.

Dafür den Rahmen zu schaffen ist die Chance und Herausforderung für die Grüne Dekade und die IGA 2027!

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