Nach der Volksabstimmung für die Unabhängigkeit Irakisch-Kurdistans steht die Region heute international isoliert da.

Kommentar von Thomas Schmidinger

Noch vor einer Woche konnte man in den Herrschaftsgebieten der Demokratischen Partei Kurdistans (PDK) in Irakisch-Kurdistan kaum jemanden finden, der Skepsis über die Volksabstimmung über die Unabhängigkeit Irakisch-Kurdistans äußerte. In Dohuk hängte sich jede Firma, von der Universität bis zum Lebensmittelgeschäft seine Unabhängigkeits-Transparente vor die Tür und selbst in Suleymania, der Hochburg der rivalisierenden Patriotischen Union Kurdistans (PUK) und ihrer Abspaltung Gorran, gelang es PDK-Führer Barzani durch einen Auftritt im dortigen Stadion wenige Tage vor der Volksabstimmung noch die Unabhängigkeitsbefürworter zu mobilisieren. Am Ende stimmten über 90% der irakischen KurdInnen für die Unabhängigkeit und das bei einer Wahlbeteiligung von über 70%.

Reaktionen auf das Referendum

Eine Woche später weicht die patriotische Begeisterung allerdings zunehmend der Sorge um die Zukunft. Das Land ist isoliert und in manchen Städten macht sich bereits die Kriegsangst breit. War der Bevölkerung von der Führung der regierenden PDK bislang eingeredet worden, dass sie mit diesem Mandat der Bevölkerung in erfolgreiche Verhandlungen über die Unabhängigkeit eintreten könne und Kurdistan über zuverlässige Verbündete verfüge, so zeigt sich jetzt deutlich, dass Barzani mit seiner Volksabstimmung nicht nur die USA, sondern auch sämtliche Nachbarn gegen sich aufgebracht hat.

Seit Freitag ist der Flughafen in Erbil verwaist. Die Regierung in Bagdad verhängte ein Luftembargo über die Flughäfen der Autonomieregion Kurdistan und verlangt die Übergabe der Flughäfen an die Zentralregierung. Kein Flugzeug landet seither in Erbil. Ausländische Mitarbeiter von NGOs und Internationalen Organisationen versuchten am Freitag noch mit den letzten Fliegern das Land zu verlassen. Viele von ihnen haben nur eine kurdische Aufenthaltsgenehmigung und könnten mit dieser nicht einmal nach Bagdad fahren um über Bagdad auszureisen.

Der Nachbarstaat Iran hat sämtliche Grenzen zur Autonomieregion geschlossen und gemeinsame grenznahe Militärmanöver mit der irakischen Armee angekündigt. Die türkische Armee drang bereits in einige Grenzgebiete vor, in denen sie auch in der Vergangenheit immer wieder die Guerillakämpfer der Arbeiterpartei Kurdistans (PKK) jagte.

Bei einem Blitzbesuch Putins in Ankara betonten die beiden Präsidenten die territoriale Integrität des Irak und Syriens verteidigen zu wollen. Im Moment kann Barzani, dessen Amtszeit als Präsident der Autonomieregion eigentlich schon seit zwei Jahren abgelaufen ist, allerdings trotzdem eigenmächtig weiterregiert, lediglich auf die Unterstützung Israels verweisen. Die demonstrative Unterstützung Netanyahus hat den irakischen Kurden bislang allerdings wenig mehr als den Zorn seiner Nachbarn eingebracht. Dass auf den Großdemonstrationen für die Unabhängigkeit sowohl in Irakisch-Kurdistan als auch in der europäischen Diaspora auch israelische Fahnen geschwungen wurden, gilt den arabischen Staaten, der Türkei und dem Iran als Beleg dafür, dass sich die irakischen Kurden zum Instrument des „zionistischen Feindes“ gemacht haben.

So wird derzeit in regierungsnahen türkischen Zeitungen offen darüber spekuliert, Barzani habe mit seiner Volksabstimmung im Auftrag „internationaler Mächte“ agiert. Wer damit gemeint ist, ist türkischen LeserInnen klar. Und auch in der arabischen Presse wird die israelische Unterstützung für Barzani ständig zum Anlass für antikurdische Berichterstattung verwendet.

Die von PDK-AnhängerInnen noch eben gefeierte Unterstützung durch den rechtsgerichteten israelischen Premierminister Netanyahu, könnte sich damit für die irakischen KurdInnen als Bumerang erweisen. Die israelische Unterstützung blieb bislang ohnehin bei öffentlichen Deklarationen. Anstatt die Sache der kurdischen Unabhängigkeit mit diplomatischen Kontakten in den USA diskret zu unterstützen, gefallen sich Netanyahu und seine Regierungsmitglieder derzeit in lautstarken Solidaritätsbekundungen, die wohl eher der Logik einer gemeinsamen Feindschaft gegenüber den AraberInnen als einer rationalen Regionalpolitik geschuldet sein dürften.
Von Europa und den USA ist keine Unterstützung zu erwarten. Sowohl Deutschland – ein wichtiger Waffenlieferant der kurdischen Peschmerga – und die EU, als auch die USA hatten schon im Vorfeld klar gemacht, dass sie das Unabhängigkeitsreferendum nicht unterstützen würden. Auch wenn im Zuge der Unabhängigkeitskampagne in Kurdistan viele Menschen sich eine solche Unterstützung erhofft hatten, so zeigt sich jetzt, dass es sich dabei um bloße Wunschträume handelte.

Folgen einer Blockade

Für die Bevölkerung Irakisch-Kurdistans wäre eine dauerhafte Blockade der Region fatal. Obwohl seit 2014 wieder verstärkt Anstrengungen in eine eigenständige Lebensmittelversorgung der Region bemerkbar waren, ist die Region in fast allen Konsumgütern von der Türkei abhängig. Selbst Obst und Gemüse kommt vielfach vom nördlichen Nachbarn, während das Gemüse kurdischer Kleinbauern aufgrund fehlender Transportlogistik kaum in die großen Städte transportiert werden kann. Kurdistan wurde bereits in den Jahren des doppelten Embargos von 1991 bis 2003 zu einer Hilfsökonomie, die zur Zerstörung der lokalen Landwirtschaft führte und den Weg für türkische Unternehmen bereitete. Auch wenn eine Rückkehr zu einer regionalen Landwirtschaft sicher positiv wäre, so könnte ein plötzlicher Ausfall dieser Waren so schnell nicht kompensiert werden. Für andere Sektoren der kurdischen Ökonomie, die mittlerweile ebenso eng mit der türkischen Ökonomie verwoben sind, könnte eine solche Blockade auch bald fatale Auswirkungen haben.

Dabei waren es interessanterweise gerade die kurdischen Firmen, die die Unabhängigkeitskampagne im Wesentlichen getragen hatten. Sie hängten Plakate vor ihre Geschäfte und schalteten sogar Werbespots für die Unabhängigkeit. Firmen, die sich daran nicht beteiligten mussten mit Nachteilen bei öffentlichen Aufträgen rechnen. Lediglich Firmen mit engen Geschäftspartnern in Bagdad verweigerten sich dieser Kampagne. Ein solcher Geschäftsmann aus der PUK-Hochburg Suleymania versuchte sich gar mit einer – sichtlich erfolglosen – Nein-Kampagne.

Insofern lässt sich aus dieser Volksabstimmung auch vieles über das politische System Irakisch-Kurdistans ablesen, das die politische Form eines klientielistisch-feudalen Neoliberalismus darstellt. Es gibt wohl kaum irgendwo auf der Welt ein Beispiel wo Firmen und Geschäftsleute so unmittelbar Politik machten bzw. umgekehrt auch so unverdeckt von der Politik gedrängt wurden, sich entsprechend zu positionieren. Von einer relativen Autonomie der Sphären der Ökonomie und Politik, die den klassischen modernen kapitalistischen Staat auszeichnet, kann in Irakisch-Kurdistan, insbesondere in den Herrschaftsgebieten der PDK keine Rede sein.

Was dies nun allerdings für die Zukunft zu bedeuten hat, ist noch völlig unklar. Angesichts der patriotischen Begeisterung, die Barzani mit seiner Kampagne ausgelöst hat, ist es nur schwer vorstellbar, dass dieser vom Ziel der völligen Unabhängigkeit Kurdistans überhaupt noch abrücken könnte. Andererseits ist sein System von den Ölverkäufen von Export- und Import abhängig und könnte bei einer dauerhaften Wirtschaftsblockade rasch an Unterstützung verlieren.

Selbst wenn es nicht zu einer offenen militärischen Konfrontation kommen würde, könnten Bagdad, Ankara und Tehran der Autonomieregion Kurdistans massiven Schaden zufügen und versuchen die innerkurdischen Konflikte zwischen Barzanis PDK auf der einen Seite und der PUK und Gorran auf der anderen Seite, für ihre eigenen Interessen zu instrumentalisieren. Der Region steht jedenfalls kein einfacher Weg in die Unabhängigkeit, sondern sehr schwierige Zeiten bevor.

Vergleiche dazu das Statement des KNK

Fotos (8): Thomas Schmidinger

Thomas Schmidinger

Dr. Thomas Schmidinger, geboren 1974, ist Politikwissenschafter und Sozial- und Kulturanthropologe sowie Lektor am Institut für Politikwissenschaft der Universität Wien und an der Fachhochschule Vorarlberg, Vorstandsmitglied der im Nahen Osten tätigen Hilfsorganisation LEEZA, der Gesellschaft für kritische Antisemitismusforschung und Beirat des Österreichisch-Irakischen Freundschaftsvereins Iraquna.

Weiterhin ist er Mitbegründer und Generalsekretär der Österreichischen Gesellschaft zur Förderung der Kurdologie / Europäisches Zentrum für kurdische Studien, Redaktionsmitglied der gemeinsam mit der Berliner Gesellschaft zur Förderung der Kurdologie / Europäisches Zentrum für kurdische Studien herausgegebenen Fachzeitschrift ‘Kurdische Studien’ und im Editorial Review Board des internationalen peer-reviewed journal Kurdish Studies .

Thomas Schmidinger (rechts) mit Pîr Dayan, Faqîr und Ali-Jerdo im Sinjar-Gebirge

Mit solchen Plakaten ließen Barzanis Anhänger in Irakisch-Kurdistan für sein Unabhängigkeitsreferendum werben. Interessant sind dabei die Details. Weniger der übliche Heldenpathos mit der blutgetränkten Fahne, als die Kurdistankarte auf der linken Seite. Obwohl Barzani für einen kurdischen Separatstaat im heutigen Iraq wirbt, wird hier ein Großkurdistan abgebildet, das nicht nur sämtliche kurdisch besiedelten Gebiete im Iraq, Iran, Syrien und der Türkei umfasst, sondern auch die arabisch besiedelte Stadt Mosul und ihr Umland, das turkmenische und aramäische Siedlungsgebiet im Iraq und die mehrheitlich azerischsprachige Stadt Urmiya im Iran. Das waren nicht die offiziellen Plakate der Kampagne. Das Plakat gibt aber durchaus eine Stimmung wieder, die derzeit in nicht unbeträchtlichen Teilen der Bevölkerung herrscht.

In den größeren Städten Irakisch-Kurdistans fanden im Vorfeld des Referendums allabendlich solche Mobilisierungsfeiern für das Unabhängigkeitsreferendum am 25. September statt.

Kurdische Firmen haben die Unabhängigkeitskampagne im Wesentlichen getragen. Sie hängten Plakate vor ihre Geschäfte und schalteten sogar Werbespots für die Unabhängigkeit.

T-Shirts als Werbeträger für das Referendum.

Werbung für das Referendum

4-5 sprachiges Plakat für die Volksabstimmung am 25. September: Kurdisch, Aramäisch, Türkisch, Arabisch und unten auch noch Armenisch.

Dieses Plakat hing in Ain Kawa. Es scheint von einer kleinen assyrischen Gruppe gemacht zu sein und ist im Gegensatz zu vielen anderen Plakaten nicht protzig und martialisch, sondern klein, unscheinbar und nett gezeichnet. Außerdem geht eine Frau voran (wenn ihr auch ein Mann den Weg zeigt) …

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